Es ist die zweite Aprilia im persönlichen Test-Tagebuch. Die erste war die RXV, die 450er Hard-Enduro, mit ihrem kernigen V2-Motor, der einem den Angstschweiß auf die Stirn trieb. Gut, die zweite Aprilia ist keine Tuono, keine Mille, sondern ein Roller. Aber auch er hat ein ungewöhnlich großes Herz. 493 Kubikzentimeter um genau zu sein. Ein Zylinder, zwei Räder, Abstammung Italien.

Foto: Guido Gluschitsch

Was kann da schon schiefgehen? Aprilia gehört seit 2004 zum Piaggio-Konzern. Die Vespas sind der beste Beweis dafür, dass man dort weiß, wie man schöne und erfolgreiche Roller baut. Der Scarabeo 500 ie ist eine Mischung aus Retro und Modern. Eine Herausforderung an die Designer - an der sie auch in ganzer Länge gescheitert sind, wie wir meinen. Genauso wie die Namensgeber.

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Denn für echte Aprilia-Fans steht Scarabeo immer noch für die italienischen Motocrosser aus den 1970er-Jahren. Und es ist ja nicht so, als gäbe es nur drei, vier Namen auf der Welt, die man verwenden könnte. Noch dazu, wo Mistkäfer jetzt ja nicht wirklich der schönste Name für einen Roller ist - Verherrlichung am Nil hin oder her. Aber gut. Geschmäcker sind verschieden.

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Beim ersten Draufsetzen knarzt der Scarabeo, als wollte er mich mahnen, wieder einmal die Waage zu konsultieren - oder die Laufschuhe. Das ist kein schönes Knarzen. Nicht wie wenige Minuten später, als der Skarabäus im ersten Kreisverkehr aufsetzt und seine Ode an die Schräglage singt. Wie bei den meisten Rollern begrenzt auch beim Scarabeo der Hauptständer die Schräglage, bevor einem die Augen an der Sonnenbrille anstehen.

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Die sollte man sich übrigens gut sichern. Denn wirft man den 500er-Einzylinder an, glaubt man nicht mehr daran, den Lenker eines Rollers in Händen zu halten, sondern wähnt sich viel mehr mit der Bändigung eines Presslufthammers beauftragt zu sein. Schlecht sitzende Plomben springen einem wie Flöhe aus dem Mund wenn der Motor noch nicht auf Betriebstemperatur ist.

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Ja, die Unruhe überträgt sich auch auf den Lenker, und man darf sich nicht wundern, wenn man ein paar Kilometer zum Eingewöhnen braucht - trotz der komfortablen 16-Zoll-Räder. Aber hat man sich erst einmal an den rauen Kern des Scarabeo gewöhnt, wird man mit sattem Vortrieb belohnt. 40,5 PS hat Aprilia in diesen Roller gepackt, dazu ein Drehmoment von 44 Newtonmeter. Ampelstart-Eigenschaft: 1a. Dabei dröhnt der Motor kräftig aus dem runden Endrohr, macht kein Geheimnis aus seinem Hubraum.

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Und der Stauraum? Zum einen hat er ein Fach unter dem Lenker, das die wichtigsten Dokumente für die anstehende Besprechung schluckt und natürlich auch viel Platz unterm Sitz. Dort liegt im Test-Scarabeo nicht nur ein Erste-Hilfe-Paket, sondern auch gleich ein Verkleidungsteil.

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Statt es an den Roller zu puzzeln, versuche ich lieber meinen Trial-Helm unter der Sitzbank zu verstauen. Geht. Wenn man die Sitzbank mit Schwung schließt und ein weiterer Kratzer am Hohlraumschutz nicht stört.

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Ausreichend Schwung hat man mit dem 500er-Scarabeo fast immer, wenn man zu einer Kreuzung kommt. Um den entsprechend zu vernichten, hat Aprilia eine Integral-Bremse verbaut. Ein weiterer Grund, weshalb man die Sonnenbrille sichern sollte. Denn bei einer Vollbremsung schlägt die sonst am Vordermann ein, so gut verzögert der Scarabeo. Ein ABS ist nicht verbaut. Was aber selbst von ABS-Fans mit Jubel belohnt werden sollte, denn statt an den Bremshebeln zu pumpen, vernichtet der Scarabeo lieber - und das sehr effektiv - Geschwindigkeit.

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Trotzdem bleibt am Ende nur ein Gedanke hängen: „300er Vespa ist der Scarabeo keine!" Die Vespa GTS 300 ie Super sieht besser aus, ist richtig kultig, schiebt auch gut an und ist zu allem Überdruss noch um 400 Euro günstiger. Aber es ist eh egal, für welchen italienischen Roller man sich entscheidet, das Geld landet so oder so in der Piaggio-Kasse. (Guido Gluschitsch, derSstandard.at, 22.8.2012)

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