Heiliges Land hin oder her: Wenn es um den Austausch von Zärtlichkeiten geht, lassen die Tiroler gemeinhin nix anbrennen - und zwar vom Liftwart abwärts. Schließlich hat's auf den blühenden Almen des Fremdenverkehrs noch nie ka Sünd' nit geben, gell? Sauber!

Umso mehr verwundert, was Standard-Leser Michael H. und seiner Freundin unlängst im Café Insieme beim Innsbrucker Bahnhof passierte: Bevor der 11-Uhr-Zug nach Wien das Glück für Tage auseinanderreißen würde, wollten H. und seine Holde noch frühstücken und Abschied nehmen. Zwischen Kaffee und Kipfel gaben sie sich in dem ansonsten leeren Lokal - ein Bussi.

Hatte die Kellnerin sich bei der Bestellung noch Zeit gelassen, war sie nun umso prompter zur Stelle: "Ich darf Sie auffordern, hier keine Zärtlichkeiten auszutauschen", hieß es barsch. "Bei uns schmusen einfach zu viele Pärchen, der Chef mag das nicht." Die beiden verließen darauf das Café und fragen sich seither, was an einem sanften Schmatz nur so störend gewesen sein mag.

Eine Recherche im Netz zeigt freilich, dass das "Insieme" auf eine lange Geschichte unterbundener Zwischenmenschlichkeit blicken kann. Einem Paar wurde gar wegen Händchenhaltens die Tür gewiesen. Schon erstaunlich: In Sachen Keuschheit können berüchtigte Tugendwächter von den Taliban abwärts offenbar noch einiges lernen - und zwar justament von einem Tiroler Wirt. (Severin Corti, DER STANDARD, 20.8.2012)