Sozialminister Hundstorfer wird die befristete Invalidität ab 2014 ein für allemal und für alle, unbefristet und unbeschränkt abschaffen. Das ist richtig und wichtig und überfällig - und doch auch überraschend. Denn bei uns wird auch Richtiges und Wichtiges selbst mit großer Verspätung nur selten gemacht, und wenn dann allenfalls halbherzig. Daher sind auch ambitionierte Pensionsreformen von Klima bis Schüssel letztlich gescheitert. Österreich blieb "Weltmeister bei Früh- und Invaliditätspensionen" (IP) (Hundstorfer).

Doch Stagnation statt Anpassung ist in einer dynamischen Welt Rückfall, nicht bloß Stillstand. Von Rürup's Vorschlägen 1997 wurden 87 Prozent nicht umgesetzt und bei schwarz-blau war die Angst der Regierungsschützen vor dem Elfmeter dann doch größer als die des blinden Tormanns der Opposition.* Daher hat sich der Rückstand Österreichs zur OECD beim Frühpensionsalter seit 2000 von ein bis zwei auf vier bis fünf Jahre vergrößert, bei gleichzeitig höherer Langlebigkeit.

Weil das nicht gut gehen kann greift der Sozialminister endlich beim größten Problem ein, nämlich den IPs. Allein sie drücken das Antrittsalter um weitere vier Jahre, kosten rund sechs Milliarden Euro jährlich. Vor allem aber demoralisieren sie alle, nicht nur die Mehrheit der abgelehnten 80 Prozent (!) Antragsteller so sehr, dass kaum wer je in Erwerb zurückkehrt. Invalidität ist also de facto (nicht pro forma: es gibt strenge Gutachten und überwiegend Zurückweisungen) eine selbstgewählte, selbst-diagnostizierte, unumkehrbar lebenslängliche, ein Jahrzehnt vorzeitige "innere Verabschiedung" (Dantendorfer) aus dem Arbeitsleben.

Daher war es wichtig, IPs statt "Reha-Geld" nicht nur für unter 50-Jährige, sondern gerade auch dort abzuschaffen, wo 73 Prozent der Berufsunfähigkeit anfällt, im Jahrzehnt vor dem regulären Ruhestandsalter - und so weitere IP-Wellen zu erschweren. Systemisch gehörte Berufsunfähigkeit ja in jedem Alter in die Kranken-, Unfall- oder ALV verlagert, weil sie im Ruhestand irrelevant und davor mit allem außer eben Alterssicherung/Pensionen zu tun hat.

Nach Sektionschef Dr. Pöltner, oberster Pensionsreformer und Sozialdemokrat, tut nach Schüssel & Co jetzt endlich auch die Sozialdemokratie "das Richtige, aber nicht zum richtigen Zeitpunkt", "die SPÖ ist um zehn Jahre hinten nach. Was wir jetzt im Invaliditätsrecht gemacht haben, hätte schon in den 90er-Jahren gemacht gehört."**

Das Umsteuern einer jahrhundertalten, hochkomplexen und schwerfälligen Institution wie der SV ist vergleichbar dem Umsteuern eines Supertankers mit sechs Kilometer Bremsweg - IP-Reform hat Jahre Vorlaufzeit. Dennoch erwartet das Sozialministerium bereits bis 2018 Einsparungen von insgesamt mehr als 700 Millionen Euro. Hätten wir freilich die Erfolge Hollands, so hätten wir 2017 nur 425.000 statt 466.00 IP, nur 10.000 statt 30.000 Neuzugänge, nicht bloß 140 sondern 460 Millionen Euro an jährlichen Einsparungen, ab 2018 rund 685 Mio jährlich um etwa 225 Millionen p.a. ansteigend.

Angesichts geradezu explodierender psychischer Erkrankungen von Angststörungen bis Alkoholmissbrauch als Hauptursache für Invalidität und ihrer geringen Reha-Chancen durch „Fixierung auf Leiden"(PVA-Chefarzt Müller) eine Sisyphos-Arbeit. Aber Sisyphos darf man sich ja, nach Albert Camus, als durchaus glücklichen Mann vorstellen - in einer Welt des Absurden. (Bernd Marin, DER STANDARD, 18./19.8.2012)