Salzburg - Ursprünglich galt die einzige Oper, die der deutsche Komponist Bernd Alois Zimmermann (1918-1970) als Auftragswerk der Stadt Köln zwischen 1958 und 1960 komponiert hatte, als unspielbar. Neben Chor, großem Solistenensemble und zusätzlichen Sprechrollen sind an die 100 Orchestermusiker und eine Jazzcombo vonnöten. Doch die zunächst abgesagte Uraufführung fand dann doch im Februar 1965 statt. Am Dirigentenpult stand Michael Gielen, der "Die Soldaten" später noch mehrmals dirigieren sollte, etwa 1969 unter Mitwirkung Zimmermanns; und 1980, als ihm der junge Dirigent Ingo Metzmacher assistierte.
Die Oper, basierend auf einem Stück des Sturm-und-Drang-Dichters Jakob Michael Reinhold Lenz (1751-1792), ist ein überbordendes, gigantomanisches Stück. Zimmermann collagierte Zitate unterschiedlicher Musikepochen und revolutionierte die konventionelle Oper mit Simultanszenen, Multimedia- und Filmzuspielungen - all dies Ausdruck von Zimmermanns besonderem Zeitbegriff; er glaubte an die Gleichzeitigkeit von Gegenwart, Vergangenheit und Zukunft: "Die Zeit biegt sich zu einer Kugelgestalt zusammen", sagte er. Seine pluralistische Kompositionstechnik trage "der Vielschichtigkeit unserer Wirklichkeit" Rechnung.
Standard: Sie gelten als jemand, der gern schwierige Stücke wählt. Deshalb auch "Die Soldaten"?
Metzmacher: Ich halte sie für das wichtigste Musiktheaterstück seit 1945. Und es verbindet mich mit dieser Oper eine lange Geschichte: Ich habe schon als Student die Vokalsymphonie dirigiert. Als man die Uraufführung mit der Begründung, das Stück sei zu schwierig, absagte, machte Zimmermann aus Abschnitten des ersten und zweiten Aktes quasi eine Lulu-Suite. Wie ich die damals hingekriegt habe, kann ich mich allerdings nicht erinnern. (lacht) 1980 habe ich dann bei Michael Gielen assistiert, der auch die Uraufführung dirigierte, und gesehen, dass in einem normalen Theater für die Musiker nicht genug Platz im Orchestergraben ist: Ein Drittel muss in einem anderen Raum sitzen und übertragen werden. Aber das ist keine gute Lösung, es macht einen Riesenunterschied im Klang.
Standard: Und in der Felsenreitschule?
Metzmacher: Ist es erstmals so, dass alle Instrumente, die verlangt werden, auch im Raum sind. Die Streicher und Bläser sitzen im Graben; Cembalo, Gitarre, Harfe, Vibrafon - also alles, was durch Zupfen oder Schlagen Töne produziert, sitzt rechts; das reine Geräuschschlagzeug links. Und unterm Dach, auf der Beleuchtungsgalerie, spielen drei Bühnenmusikgruppen. Als Zuschauer sitzt man mitten im Klang!
Standard: Warum wollten die Sänger eine Szene vom Blatt singen?
Metzmacher: Da sollen 18, 20 Sänger gleichzeitig wirklich wahnwitzige Dinge singen. Sich rhythmisch und von den Tonhöhen her zu orientieren ist extrem schwierig. Deshalb wurde diese Szene bisher meist vorher aufgenommen. Dass in einem dramatisch sehr wichtigen Moment nur eine Aufnahme zugespielt wird, halte ich aber für nicht zufriedenstellend. Wir verbrachten eine dreistündige Probe ausschließlich damit, den Rhythmus zu klären, zu vereinbaren, wer sich wann mit wem koordinieren soll, wann ich wem welches Zeichen gebe. Erst am Schuss wurde gesungen. Es war überwältigend - und uns allen sofort klar, dass es live sein muss.
Standard: Wie lange haben Sie geprobt?
Metzmacher: Wir haben Anfang Juli mit so vielen musikalischen Proben wie noch nie vorher begonnen. Das war für die Sänger sehr wichtig. Und dann hat Alvis das Stück ziemlich schnell, in zwei, drei Wochen inszeniert. Seit gefühlten drei Wochen machen wir Durchläufe, was erstaunlich ist, für Oper im Allgemeinen und ganz besonders für Die Soldaten. Er hat die Sänger gezwungen, oder, genauer gesagt, sie herausgefordert, noch früher als sonst alles auswendig zu können.
Standard: Alvis Hermanis hält, wie er sagt, nicht viel von Schweiß und Tränen bei den Proben. Und Sie?
Metzmacher: Ich fand die Arbeit mit ihm unheimlich angenehm, weil er den Darstellern sehr viel Platz lässt, etwas Eigenes zu entwickeln - im Rahmen dessen, was er ihnen über eine Szene erzählt. Er geht nie gegen die Musik! Es ist immer mit der Musik gedacht.
Standard: Dabei hatte er ziemliche Anfangsschwierigkeiten mit dieser Oper.
Metzmacher: Er hörte erst einmal ganz oft die Musik. Das ist auch richtig so. Das Textbuch hat er sicher auch gelesen, aber er hat vor allem die Musik gehört, um herauszufinden, was das soll. Irgendwann hat er gesagt, es erinnere ihn an Punk und Jazz, was wiederum für mich überraschend - und interessant - war. Ich mag es sehr, wenn jemand unverbildet so etwas hört. Und ich finde, er hat den Geist der Musik, die Seele des Stückes sehr gut erreicht. Es ist nicht die übliche Operngeschichte, wo man versucht, Gefühle größer zu machen. Er erzählt die Geschichte dieses Mädchens, das einem Offizier verfällt und schließlich auf der Straße landet, ganz einfach und klar, sodass jeder sie verstehen kann.
Standard: Würde fast den Schluss nahelegen, öfter mit Opernregie-Neulingen zusammenzuarbeiten?
Metzmacher: Das Wichtigste ist doch, dass Regisseure die Oper respektieren! Das hat Hermanis von Anfang an gemacht. Es ist nicht so wahnsinnig wichtig, ob er Noten lesen kann oder nicht. Sondern dass er ein Ohr für die Musik hat, ihre Wichtigkeit und Bedeutung versteht. Dann kann man mit Oper alles machen. Es gibt aber Regisseure, die Musik erstmal gar nicht auf der Rechnung haben. Damit kann ich schwer umgehen. Ich sehe in jeder Opernaufführung, ob es Respekt vor der Musik gegeben hat oder nicht. Da bin ich zuallererst Musiker. Und empfindlich.
Standard: Sitzen Sie also mitunter mit geschlossenen Augen in der Oper?
Metzmacher: Nein! Ich will das sehen! Ich bin kein Freund von konzertanten Aufführungen, ich finde sie geradezu unsinnig. Große Oper will das Theater! Auch ich will als Dirigent ein Gegenüber auf der Bühne. Ich kann das nicht abstrakt auf meinen Graben begrenzt sehen, da fehlte mir etwas.
Standard: Wie ging's Ihnen da mit diesem Anspruch in Salzburg?
Metzmacher: (lacht) Ich hatte während der Proben ja gar keine Zeit, mir andere Produktionen anzuschauen.
Standard: Wie lange dauert es, bis Sie von solch einem komplizierten Stück wieder runter- und wegkommen?
Metzmacher: Weiß ich nicht. Aber es fordert mich gewaltig. Ich wache morgens auf, es fällt mir eine Szene ein, ich überlege: Ist das jetzt 5/8, 3/8, 3/4? Man kann sich schnell irren in dieser Oper. Ich erinnere mich, dass auch das erste Stück, das ich dirigiert habe, eines mit vielen Taktwechseln war. Das kann man zu Hause wunderbar üben; und solange alle richtig spielen, ist es kein Problem. Doch wenn es nicht funktioniert, muss man doppelt denken. Man muss richtig weiterschlagen, weil sonst das Orchester nicht mehr rauskommt, und gleichzeitig überlegen, wie und wann ich die Sänger wieder in den richtigen Takt bringe. Auch deshalb bin ich Hermanis für die frühen Durchläufe dankbar.
(Andrea Schurian, DER STANDARD, 18./19.8.2012)