Werner Gruber, der Schweinsbraten gern massiert - den Videobeweis gibt's auf Youtube -, empfiehlt dafür Schulterfleisch. Bei Alois Stöger kommt aber nur in Ausnahmefällen Schwein auf den Tisch.

Foto: Der Standard/Fischer

Der Gesundheitsminister packt nicht gern den Zeigefinger aus. Außer wenn der "Science Buster" wegen ihm den Sport sausen lässt.

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STANDARD: Herr Minister, haben Sie schon mal einen Schweinsbraten massiert?

Stöger: Massiert? Nein.

STANDARD: Professor Gruber hat ein Rezept entwickelt, da ist das ein essenzieller Bestandteil.

Gruber: Es ist nicht unwichtig, weil es darum geht, dass man die Gewürze ordentlich ins Fleisch einarbeitet.

Stöger: Gesalzen hab ich's. Und Knoblauch drübergegeben.

Gruber: Und Koriander und Kümmel.

Stöger: Kümmel ist ganz wichtig.

STANDARD: Kochen Sie hin und wieder Schweinsbraten?

Stöger: In meinem früheren Leben kann ich nicht abstreiten, dass ich schon einmal einen gemacht habe. Heute wird bei mir zu Hause kein Schweinefleisch mehr gekocht.

STANDARD: In Ihrem früheren Leben? Warum hat sich das geändert?

Stöger: Früher gab es bei mir Mühlviertler Küche, da war der Schweinsbraten Bestandteil.

Gruber: Und jetzt ist keine Zeit mehr zum Kochen, oder?

Stöger: Wenig. Hin und wieder grille ich.

STANDARD: Was kann man denn falsch machen, wenn man einen Schweinsbraten zubereitet?

Stöger: Zu viel Hitze und zu wenig Zeit.

Gruber: Das Einsalzen sollte man nicht zehn Minuten vorher machen, sondern einen Tag. Und man braucht das richtige Fleisch. Was für ein Fleisch haben Sie früher genommen?

Stöger: Schopf oder Karree.

Gruber: Aus Karree wird das nix. Eine Schulter! Saftig, eine schöne Schwarte ... Bauch wäre das Beste, aber das muss man mögen.

STANDARD: Ist Gesundheitspolitik per se genussfeindlich?

Gruber: Nein, das glaube ich nicht. Was mir maßlos auf die Nerven geht, ist, wenn es heißt, die Leute essen das Falsche - zum Beispiel beim Kornspitz, da wird jeder sagen, der ist gesünder als eine Semmel. In ganz vielen anderen Ländern müssten dann die Leute sehr krank sein, weil sie gar kein dunkles Brot kennen. Alles ist eine Frage der Menge. Wir haben Ernährungsberater, die fünfjährlich ihre Meinung ändern, was gesund ist. Ich glaube, das Wichtigste ist Stressabbau.

Stöger: Alle Ernährungsapostel sind mit Vorsicht zu genießen. Ich teile aber die Bedenken, was die Menge angeht. Fett gehört auch zum Leben - entscheidend ist aber das Verhältnis, vor allem zur Bewegung.

STANDARD: Aber sind Sie nicht der Minister, der den Menschen sagen muss, was sie nicht dürfen?

Stöger: Ich bin kein Zeigefinger-Typ, das halte ich für kontraproduktiv. Ich muss mich fragen: Warum ist die Situation so, wie sie ist? Wir haben die Lebensbedingungen verändert, es gibt weniger Bewegung, die Nahrung hat darauf nicht reagiert.

Gruber: Ich würde es persönlich zwar verfluchen, aber es gäbe da eine lässige Lösung: Schalten wir alle Lifte aus. Lassen wir nur Personen damit fahren, die sie wirklich brauchen. Wie heißt's so schön: Der Lift dient der Bequemlichkeit, die Stiege der Gesundheit.

Stöger: Architektur kann viel für Gesundheit tun - wo ist der Lift und wo ist die Stiege? Bei mir im Ministerium ist die Stiege unauffindbar. Man muss die Gesundheitspolitik im Leben unterbringen, zum Beispiel an den Schulbuffets, für die wir eigene Berater haben. Da wird der Zuckeranteil in den Säften reduziert, Obst und Gemüse statt des Leberkässemmerls, kleinere Mengen Schokolade und so weiter.

Gruber: Ich hab selbst ein Jahr lang als Physiklehrer unterrichtet, das Buffet an der Schule war super: Leberkässemmeln, Nusskronen, kleine Pizzaschnitten, Schokoriegel - alles, was Gott verboten hat. Ich habe Vierzehnjährige unterrichtet und hab mit ihnen darüber geredet, woraus Schokolade besteht. Den Schülern war nicht klar, dass quasi die eine Hälfte Butter und die andere Hälfte Zucker ist. Als denen das klar wurde, gerade den Mädchen - die sind zusammengebrochen. Da kann etwas im Unterricht nicht richtig sein.

Stöger: Es hängt auch mit der Verpackung zusammen, die Menschen haben verlernt, hinzusehen.

STANDARD: Abgesehen von den Kindern steht dahinter ja die Frage: Wie weit geht die Freiheit des Menschen - die bewusste Entscheidung, dass man Schweinsbraten essen will? Und wo muss die Gesundheitspolitik eingreifen?

Stöger: Es ist wichtig, die Kultur zu akzeptieren, in der wir aufgewachsen sind. Es macht aber einen Unterschied, ob ich einen Schweinsbraten esse und körperlich in der Landwirtschaft arbeite oder ob ich dann ins Büro gehe.

Gruber: Außerdem hat es früher nur am Sonntag einen Schweinsbraten gegeben.

Stöger: Genau, das war das Sonntagsessen, und vielleicht gab's während der Woche nochmal ein Geselchtes. Mit besseren Zugängen zur Nahrung hat sich das kulturell verändert, und die Politik muss damit umgehen.

STANDARD: Ist die Raucher-Regelung in Österreich für Sie der Weisheit letzter Schluss?

Stöger: Als Gesundheitsminister bin ich froh über jede Zigarette, die nicht geraucht wird. Ich nehme zunehmend wahr, dass es für die Gaststätten ein Qualitätsgewinn ist, wenn nicht geraucht wird. Ich würde das jedem Wirt empfehlen.

Gruber: Ich finde, wir haben einen guten Mix zwischen Raucher- und Nichtraucherlokalen. Aber bei den gerauchten Zigaretten sind wir in Österreich schon eher weiter vorne ...

Stöger: Wir sind ganz schlimm weit vorne.

Gruber: Ich bin überzeugt, dass es in zehn Jahren fast keine Raucherlokale mehr geben wird. Wobei: Wenn sogar im Gastgarten das Rauchen verboten wird, muss ich als ehemaliger Raucher sagen, das ist schon sehr deftig.

STANDARD: Streben Sie den rauchfreien öffentlichen Raum an?

Stöger: Jedenfalls sollen öffentliche Gebäude rauchfrei sein. Wir müssen aber schon eine Chance haben, dass nicht nur in den Wohnungen geraucht wird. Persönlich merke ich, dass ich es nicht angenehm finde, wenn der Nachbar am Balkon steht und ich den Rauch abbekomme.

STANDARD: Aber das geht schon in einen sehr höchstpersönlichen Lebensbereich - den Menschen zu sagen, dass sie auf ihrem eigenen Balkon nicht mehr rauchen dürfen.

Stöger: Eh, da gibt es auch Grenzen. In dem Gastgarten, in dem wir sitzen, wäre das Rauchen kein Problem. Mir schreiben aber viele amerikanische Touristen, dass sie an Wien nicht schätzen, dass so viel geraucht wird.

Gruber: Ich habe deutsche Kollegen, die sagen: Super, endlich wieder rauchen.

Stöger: Die schreiben mir halt keinen Brief.

STANDARD: Als in Cern vor einigen Wochen das Higgs-Teilchen gefunden wurde, haben Sie es in der "Zeit im Bild" mit Tortenboden, Joghurt und ein paar Himbeeren erklärt. Ist die Welt wirklich so einfach?

Gruber: In der Physik ja. Wir haben vier Wechselwirkungen, ein paar Teilchen, das ist überschaubar. Und das ist es. Ich habe ein Problem damit, wenn Dinge im medizinischen Bereich verwendet werden, es aber keinen wissenschaftlichen Nachweis gibt. Homöopathie, Schüssler-Salze, Bach-Blüten - dafür gibt es keinen einzigen naturwissenschaftlichen Beweis. Das ist reines Abcashen mit der Hoffnung von Leuten. Wann kommt da das politische Korrektiv?

Stöger: Das gibt es schon. Wir sagen in der Medizin sehr deutlich, dass wir wissenschaftliche Evidenz haben wollen. Bei den großen Auseinandersetzungen mit der Ärztekammer geht es nur um Qualität. Gesundheit ist emotional behaftet, und manche, die krank sind, klammern sich an irgendetwas. Dieses Klammern wird für Geschäfte verwendet.

Gruber: Die wissenschaftliche Beweisführung ist eindeutig, fast alles im Bereich der Komplementärmedizin ging negativ aus.

Stöger: In der Sozialversicherung ist klar: Was nicht State of the Art ist, das wird nicht abgegolten.

Gruber: Das find ich super. Aber was mir fehlt, ist: Wer klopft der Ärztekammer auf die Finger und sagt: Freunde, das, was ihr da an Diplomen hergebt, ist Bauernfängerei? Das ist beinharte Geldmacherei. Das politisch durchzudrücken - viel Spaß. Aber es ist so was von eindeutig nicht wirksam.

STANDARD: Ein Buch der Science Busters heißt "Wer nichts weiß, muss alles glauben". Kann man zwischen Himmel und Erde alles erklären?

Gruber: Noch nicht. Wir arbeiten daran. Seit Galileo Galilei wird Religion immer weiter zurückgedrängt. Science rules! Aber wir wissen zum Beispiel, es gibt bei Krebs Spontanheilung - er hört auf, ohne dass irgendjemand etwas tut. Es wird gerade erforscht, warum. Ich sehe da ein ganz anderes, echt österreichisches Thema: Wenn jemand ein psychisches Problem hat, dann wird das totgeschwiegen. Man geht nicht zum Arzt, weil man ja nicht narrisch ist. Wir bräuchten eine ganz große Aufklärungskampagne: Liebe Leute, geht's zu einem Neurologen, die können helfen. Nichts gegen einen Psychotherapeuten, da geht man hin mit einer Angststörung, mit einem Verhaltensproblem - aber nicht mit Depression oder Schizophrenie. Die Psychotherapeuten nutzen das teilweise schamlos aus.

Stöger: Ich habe mich bemüht, ein Projekt zur Suizidprävention aufzuziehen. Wenn es uns gelingt, die Arbeitslosigkeit zu reduzieren, haben wir weniger psychische Erkrankungen. Wir müssen den Menschen auch Sicherheit geben. Das fängt in der Kindheit an, deshalb beginnen unsere Initiativen auch schon im Kindergarten, weil dort oft schon Leistungsdruck entsteht. Mit früher Hilfe kann man ansetzen, dass keine Kindergartenverweigerung, keine Schulverweigerung und damit Arbeitsmarktprobleme entstehen. Es dauert aber 20 Jahre, bis das sichtbar wird.

Gruber: Super! Aber das ist an mir vorübergegangen. Ganz ehrlich, ich würde am Marketing arbeiten.

STANDARD: Wenn wir schon bei Tipps für den Minister sind: Die Science Buster erklären komplexe Sachverhalte einfach und unterhaltsam. Der Gesundheitsminister kümmert sich auch um komplexe Themen. Wie macht man das richtig?

Gruber: Wir stehen als Fachleute auf der Bühne. Wenn ich im Rabenhof auftrete, bin ich kein Kabarettist. Ich hab schon ein großes Mundwerk, aber das ist nicht mein Geschäft. Martin Puntigam, der den Laien verkörpert, stellt die blöden Fragen. Wie gut sind denn die Fragen von den Journalisten? Ich glaube, wenn man nach irgendwelchen Gesetzestexten fragt - die sind einfach fad. Ein Politiker sollte seine Seele sowieso nicht für einen guten Schmäh verkaufen, da braucht es ein gewisses staatsmännisches Auftreten.

Stöger: Gesundheit braucht Vertrauen, und das hat etwas mit Sachlichkeit und Ernst zu tun. Ich werde nicht als Schauspieler für eine Show bezahlt.

STANDARD: Sie sind ja als Politiker nicht gerade im Verdacht, Populist zu sein - aber wünschen Sie sich hin und wieder, populärer zu sein?

Stöger: Nein. Ich glaube, die Bevölkerung ist der Meinung, dass jemand im Ministerium ist, der das sehr sachlich und ruhig bearbeitet. Kranke Menschen sind leicht zu verunsichern, insofern braucht es Stabilität und eine ruhige Hand.

Gruber: Ich glaube, es gibt Ministerien, wo es notwendig ist, populistisch tätig zu sein. Das Gesundheitsministerium gehört nicht dazu. Ich kenne auch keinen in Österreich, der das Gesundheitssystem in Österreich, abgesehen von Details, infrage stellt. Wir haben ein anderes Problem: Selbstvertrauen. Wir sind klein, wir können doch nicht so gut sein.

STANDARD: Die SVA will ihre Versicherten zu einem gesünderen Lebenswandel motivieren, indem sie als Belohnung für weniger Rauchen oder mehr Sport die Selbstbehalte reduziert. Halten Sie das für richtig?

Gruber: Ich glaube, das funktioniert nicht über Geld. Da sind wir wieder beim Rauchen. Jeder, der raucht, weiß, dass es Wahnsinn ist. Ich habe früher am Tag 100 Zigaretten geraucht. Was mich das gekostet hat ... Ich glaube, das Packerl müsste zehnmal so viel kosten, damit das Geld wirkt.

Stöger: Die neuen Selbstständigen sind oft Kleinverdiener, für viele sind Selbstbehalte eine große Belastung.

Gruber: Können wir die nicht irgendwann wegfallen lassen?

Stöger: Je früher, desto lieber. Ich habe das im Parlament gesagt: Ich feiere ein Fest, wenn wir Selbstbehalte reduzieren können.

Gruber: Woran scheitert das? Können wir uns das nicht leisten?

Stöger: Es gibt Personengruppen, die glauben, dass man das Gesundheitssystem über Selbstbehalte steuern kann. Aber das funktioniert nicht, der kranke Mensch hat keine Marktposition.

Gruber: Nächstes Jahr ist Wahlkampf. Wäre es da nicht ein gutes Thema, gegen Selbstbehalte aufzutreten? Steuerung über das Geld funktioniert sowieso nicht, auch nicht als Bonus für einen gesünderen Lebenswandel. Ich weiß ja, dass mein Übergewicht nicht gut ist. Ich habe mir vorgenommen, im Sommer öfter schwimmen zu gehen, heute fällt's aus, weil wir hier sitzen.

Stöger: Das ist schlecht!

Gruber: Na ja, man sucht sich dann immer schnell eine Ausrede.

Stöger: Die Ausrede will ich nicht sein. Jetzt komme ich wirklich mit dem Zeigefinger! (Andrea Heigl, DER STANDARD, 17.8.2012)