Designer bekennen sich gerne der Schlagzeile zuliebe zu Übergrößen. Wirkliche Plus-Size-Kollektionen hat aber fast niemand im Angebot. Hier ein Sujet aus der Unterwäschekollektion von Marina Rinaldi.
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Foto: Marina Rinaldi

Im Juli dieses Jahres machten auf der Berliner Modewoche zwei Models von sich reden: Die eine, Ex-Miss Austria Patricia Kaiser, lief bei Michael Michalsky hochschwanger über den Laufsteg, die andere machte ebenfalls mit ihren Kurven auf sich aufmerksam: Der Onlineversandhändler Navabi schickte das kalifornische Plus-Size-Model Mariesther Venegas nahezu nackt auf die Straße. Für einen Moment hatte der in Aachen ansässige Onlineversandhändler die Aufmerksamkeit der Medien auf seiner Seite: X-fach drückten Blogger, Passanten und Fotografen auf die Auslöser, kurze Zeit später kreisten PR-Bilder des Models im Internet.

Das Prinzip der nackten Kurven verkauft sich in den Mainstream-Medien nach wie vor besonders gut: Die italienische Vogue zum Beispiel - die hievte im Juni dieses Jahres die Plus-Size-Models Tara Lynn, Candice Huffine und Robyn Lawley in schwarzer Spitzenunterwäsche aufs Cover. Wenn es weibliche Rundungen auf einen Magazintitel schaffen, klingt das im ersten Moment fortschrittlich, in Wahrheit mag das tiefe Dekolleté im Zentrum des Bildes die Entscheidung für diese Titelseite beeinflusst haben - Sex sells eben auch in Übergröße.

Sexy und zeitgemäß

Dennoch, in den letzten 25 Jahren hat sich auf dem Gebiet der Übergrößenmode eine Menge verändert. Ende der 1980er redete man noch ganz ungeniert von den "Dicken", kleine Boutiquen namens "Molly Mode" schossen wie Pilze aus dem Boden. Das Vokabular kommt heute anders daher: Die Rede ist von "Plus Size" und weiblichen Kurven. Das klingt sexy, zeitgemäß, nicht so problembeladen wie die gemeinen Wörtchen "dick", "stattlich" oder "rundlich" und mag darüber hinwegtäuschen, dass sich die gesellschaftliche Ächtung von Dicken in den letzten Jahren verstärkt hat. Die in Wien beheimatete feministische Aktionsgruppe dicker Frauen, "Arge dicke Weiber", legt denn in einem offenen Brief an ein deutsches Übergrößenunternehmen den Finger in die Wunden der dicken Konsumentin: "Wo bitte sind die schönen, sinnlichen, fülligen, üppigen Models, die Frau erwartet, wenn sie dicke Mode sucht?" Der Vorwurf: Wenn Plus Size beworben wird, dann werden häufig Models in Konfektionsgröße 38 oder 40 in die Kleider gesteckt.

Flucht aus der Umkleide

Damit können sich viele übergewichtige Frauen nicht identifizieren. Mit der Coolness, mit der heute Übergrößen beworben werden, ist es spätestens dann dahin, wenn es um handfeste modische Fragen geht: Wo finde ich zeitgemäße wie typgerechte Mode, die sich nicht zwanghaft das Kaschieren von Problemzonen auf die Fahnen geschrieben hat? Oder, ganz banal: Aus welcher Umkleide flüchte ich nicht sofort vor lauter Platzangst, und wo hat das Verkaufspersonal überhaupt ansatzweise eine Ahnung von meinen Bedürfnissen als "große Größe"?

Die Übergrößenbranche mag sich in den letzten Jahrzehnten professionalisiert haben, aber noch immer gilt: Bekannte Designer bekennen sich - wie etwa Marc Jacobs vor zwei Jahren - vor allem der Schlagzeile zuliebe zu Plus Size. Diesen Bekenntnissen folgt aber selten echte Initiative, kein Wunder auch: Zu aufwendig ist der Aufbau einer Plus-Size-Linie, da genügt es nicht, kleine Konfektionsgrößen schnitttechnisch um einige Zentimeter aufzublasen. Elke Dieterich, im Branchenblatt Textilwirtschaft für das Übergrößensegment zuständig, meint: "Gerade im Trendbereich ist im Übergrößenmarkt noch jede Menge Luft." Und fügt hinzu: "In vielen mittelmodischen DOB-Kollektionen sind die Konfektionsgrößen 40 bis 44 die am meisten verkauften" - das sind noch Normalgrößen, sie mögen aber ein Indiz dafür sein, wie lukrativ das Geschäft mit den größeren Größen in Wirklichkeit ist.

Große Trends?

Die kleinen Boutiquen hingegen, die in den Achtzigern einen wahren Gründungsboom erlebten und die Szene als Pioniere belebten, sind den Beobachtungen Dieterichs gemäß am Verschwinden: "In diesen Läden fühlen sich über 50-Jährige wohl, aber nicht junge, modebewusste Frauen." Sie gibt zu bedenken: "Es ist nicht einfach für diese Frauen, trendige Mode in großen Größen zu finden. Wenn sie einkaufen, dann wollen sie das kaufen, was ihre Freundinnen in Normalgröße tragen." Kein Wunder, dass Frauen, denen in Modezeitschriften die saisonalen Trends vorgebetet werden, den Einkauf von Kleidung in großen Größen häufig als eine Tour de Force durch ein Angebot an unmodischen Sackkleidern und sackigen Roben empfinden.

Gleichzeitig, das muss festgestellt werden, sind die Einkaufsmöglichkeiten im Segment "Plus Size" derzeit so vielfältig wie nie zuvor: Das deutsche Textilunternehmen SinnLeffers bietet seit Herbst 2010 in einigen Filialen unter dem etwas holperigen Namen "Frauen mit Format" eine eigene Verkaufsfläche für die Größen 42-56 von einschlägigen Anbietern wie Chalou, KJ Brand, Ulla Popken und Evelyn Brandt an, Peek & Cloppenburg setzt hingegen in seinen österreichischen Häusern auf das individuelle Übergrößenangebot der im Haus verkäuflichen Marken: Mode von Basler ist bis Größe 50 im Angebot, die Eigenmarken Christian Berg, Jake*s und Montego hängen hier bis zur Konfektionsgröße 46 auf den Stangen. Daneben gibt es aber auch in Österreich ausgewiesene Übergrößenspezialisten wie die Wiener Filiale der Boutiquengruppe "Pia Antonia" auf der Tuchlauben. Dort wird das kleine Einmaleins der Kundinnenbindung groß geschrieben: "Schön ab Größe 42" lautet das Motto der Firmengründerin Mira Dworschak, die internationale Designerware wie Marina Rinaldi (siehe Artikel: Aus dem Vollen schöpfen) und Sallie Sahne im Zweifelsfall auch mittels individueller Stilberatung an die Frau bringt.

Weniger kleine Boutiquen

In New Yorks Kaufhauslandschaft sieht die Sache wieder anders aus. Saks Fifth Avenue hat sich im letzten Jahr entschlossen, seine Übergrößenverkaufsfläche "Salon Z" zu schließen, das Angebot an Übergrößenmode in Designerqualität ist jetzt ausschließlich online erhältlich. Das ist aber möglicherweise gar keine so schlechte Idee, lassen sich doch insbesondere junge Kundinnen immer öfter im Netz einfangen: "Onlineshops wie Navabi oder Sheego erleben einen unheimlichen Boom und sind wohl auch deshalb so erfolgreich, weil sie mit gezielten Aktionen ihre Kunden an sich binden", sagt Elke Dieterich.

Im Internet, wo es sich so anonym wie unverbindlich konsumieren lässt, lockt eine Heerschar von Onlineshops mit Mode im Plus-Size-Format und ködert mit Blogs und Kundenmagazinen. Besonders beliebt ist die Rubrik "Stylingtipps": Ob der Onlineshop Sheego aus der Schwab-Gruppe zum "Kurvenstars-Leserinnencasting" aufruft oder die neue Plus-Size-Linie "Triangle by s.Oliver" Chemiestudentin Julia ein Umstyling ermöglicht - in der Regel geht es um Service und die Erfüllung des Traums vom optimierten Selbst. Denn diesem scheinen ganz schön viele nachzuhängen, ob in Kleidergröße 36 oder 54. (Rondo, DER STANDARD, 17.08.2012)