Annette Lohmann (35) leitet seit 2010 das Büro der Friedrich-Ebert-Stiftung in Bamako. Davor arbeitete sie in den FES-Zentralen in Berlin und Bonn.

Foto: FES / Thomas Greven

Der Norden Malis kann langfristig nur stabilisiert werden, wenn Vertreter aller Volksgruppen in Gespräche einbezogen werden, sagt Annette Lohmann von der Friedrich-Ebert-Stiftung in Bamako zu Julia Raabe.

STANDARD: Seit Wochen bemühen sich die politischen Akteure in Bamako darum, eine Regierung der Nationalen Einheit zu bilden. Warum war das bisher so schwierig?

Lohmann: Nach dem Putsch hat es in Politik und Gesellschaft eine starke Polarisierung gegeben. Viele Akteure haben sich deutlich für oder gegen den Putsch positioniert. Mit der Regierung der Nationalen Einheit versucht man, einen Konsens zwischen den Lagern herzustellen. Ich gehe davon aus, dass die neue Regierung in den nächsten Tagen vorgestellt wird.

STANDARD: Wie verlaufen die Fronten in der politischen Elite Malis?

Lohmann: Grob gesagt: zwischen dem Kontra-Putsch-Bündnis und der Ecowas (Westafrikanische Wirtschaftsgemeinschaft, Anm.) auf der einen und einem relativ starken Pro-Putsch-Bündnis auf der anderen Seite. Im Kontra-Putsch-Bündnis sind überwiegend die etablierten Parteien vertreten, im Pro-Putsch-Bündnis sind es die kleineren Parteien und einige zivilgesellschaftliche Organisationen. Einer der Knackpunkte ist der Premierminister: Er wird von der Ecowas und den Gegnern des Putsches abgelehnt, weil er den Putschisten nahesteht. In der Bevölkerung hat er dagegen ein hohes Ansehen. Würde er abgesetzt, müsste man mit Demonstrationen rechnen. Es wird vermutlich darauf hinauslaufen, dass er auch in der neuen Regierung Premierminister bleiben wird. Allerdings hat Präsident Traoré seine Kompetenzen eingeschränkt.

STANDARD: Wie reagiert die Bevölkerung auf die Situation?

Lohmann: Nach dem Putsch gab es eine relativ breite Unterstützung - nicht für den Putsch als solchen, aber viele haben sich mit den Kritikpunkten der Putschisten identifiziert. Es ging vor allem darum, dass die Armee unterausgestattet ist. Außerdem war der Putsch ein Ventil für viel Frustration: Es gibt eine hohe Arbeitslosigkeit, Korruption, große Armut. Viele hatten nach dem Putsch gehofft, dass jetzt etwas Neues, Positives beginnt. Mittlerweile hat sich die Meinung in der Bevölkerung geändert, weil man sieht, dass diese Erwartungen nicht eintreten - und das Gegenteil der Fall ist.

STANDARD: Wie die Krise im Norden gelöst werden soll, scheint nach wie vor strittig zu sein. Nicht alle Akteure befürworten eine Interventionstruppe der Ecowas...

Lohmann: Die Ecowas ist dabei, einen Plan zu entwickeln. Ungeklärt ist, ob eine Truppe nach Bamako geschickt werden soll - zur Sicherung des Übergangs, wie es heißt. Klar ist, dass Malis Armee Unterstützung braucht. Die Ecowas ist bereit, diese zu leisten, zum Beispiel bei Ausbildung oder Logistik. Doch die malische Armee wird den Hauptbeitrag leisten und an vorderster Front stehen, wenn es im Norden wirklich zu einer Militärintervention kommt. Darauf hat man sich offenbar geeinigt. Zugleich werden Chancen für Verhandlungen ausgelotet.

STANDARD: Könnten Verhandlungen den Norden befrieden?

Lohmann: Die Tuareg stellen mit zehn Prozent im Norden eine Minderheit dar, und auch davon befürwortet nur eine Minderheit die Anliegen der MNLA oder der Ansar Dine (Islamistengruppe; Anm.). In der Vergangenheit ist leider oft der Fehler gemacht worden, dass man nur selektiv mit der jeweiligen Rebellengruppe gesprochen und die anderen nicht einbezogen hat. So entstand der Eindruck, dass nur der, der Ärger macht, etwas gewinnen kann. Auf längerfristige Sicht müsste daher mit allen Volksgruppen ein Lösungsmodell für den Norden diskutiert werden. (DER STANDARD, 16.8.2012)