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Nach Olypmia ist der Turnunterricht in der Kritik.

Foto: REUTERS/China Photos

Die Schuldfrage ließ nach dem österreichischen Olympia-Debakel nicht lange auf sich warten. Sportminister Norbert Darabos (SPÖ) gab sich dem Magazin "NEWS" gegenüber "unglücklich" über die Diskussion zum Thema Schulsport und forderte eine verpflichtende tägliche Turnstunde. Seine Ministerkollegin Claudia Schmied (SPÖ) reagierte ablehnend, die Schule sei nicht für das Abschneiden bei Olympia verantwortlich.

Darabos' Forderung hält der Sportlehrer Heimo Wolte vom Realgymnasium Lerchenfeld in Kärnten "prinzipiell für eine gute Idee und den richtigen Weg". Allerdings bezweifelt Wolte, dass der Vorschlag des Ministers "organisatorisch durchführbar" ist. Wolte merkt an, dass bereits jetzt 30 Minuten einer 50-minütigen Turnstunde auf Umziehen, Aufwärmen und Duschen entfallen. Das Sportinteresse der Schüler sei zudem durch die Einsparung von attraktiven Nachmittagsangeboten, wie Schifahren oder Fußballspielen, noch weiter gesunken. 

Vereine statt Schulen

Brigitte Windbichler-Grohsmann arbeitet seit 16 Jahren als Sportlehrerin, unter anderem an der BHAK Wien 11. Sie betont, dass der Sportunterricht nicht auf Elitenbildung abzielen kann bzw. soll. Stattdessen steht für sie die Vermittlung eines "positiven Körpergefühls und einer gesunden Lebensführung" im Mittelpunkt. Für die Ausbildung von Spitzensportlern sollten laut Windbichler-Grohsmann, selbst ehemalige Leistungssportlerin, "nämlich vor allem die Vereine zuständig sein". Einen statistischen Zusammenhang zwischen der Anzahl der Turnstunden und der Olympia-(Miss-)Erfolge belegen auch die Daten des europäischen Bildungsinformationsnetzes Eurydice nicht.

Demnach gibt es sowohl in Ungarn, Tschechien und Kroatien, die heuer bei den Olympischen Spielen gut abgeschnitten haben, weniger Turnstunden pro Jahr als in Österreich. Die Olympioniken Ungarns, beispielsweise, gewannen acht Gold-, vier Silber- und fünf Bronze-Medaillen. In Ungarn gibt es zwischen 69 und 83 Turnstunden pro Jahr. Sechs- bis 15-jährige österreichische Schüler - das umfasst Volks-, Haupt-, Polytechnische Schule und AHS-Unterstufe - haben im Vergleich zwischen 60 und 120 Stunden Turnunterricht pro Jahr.

Stundenkürzung in Unterstufe

"Fakt ist, dass die Zahl der Schulstunden das Bewegungsdefizit der heutigen Kinder und Jugendlichen nicht kompensieren kann", sagt der Sportpädagoge Günther Amesberger vom Interfakultären Fachbereich Sport- und Bewegungswissenschaft der Uni Salzburg gegenüber der APA. Laut dem Rechnungshof wurde der Sportunterricht seit dem Jahr 2003 um bis zu fünf Prozent gekürzt. In der Sekundarstufe I gibt es insgesamt eine Turnstunde weniger. In Berufsschulen, die von knapp 140.000 der 1,2 Millionen Schüler besucht werden, ist der Sportunterricht gar unverbindlich.

Volksschulen waren von der Stundenkürzung nicht direkt betroffen. Der Rechnungshof bemängelt jedoch, dass Volksschüler nicht von fachlich ausgebildeten Sportlehrern, sondern durch ihre Klassenlehrer, unterrichtet werden.

Auch Sportlehrer Wolte weiß, dass es in Volks- und auch Hauptschulen durchaus üblich ist, dass fachfremde Kollegen den Sport- und Bewegungsunterricht abhalten. Laut Windbichler-Grohsmann ist es zudem "ein offenes Geheimnis, dass oft auch einfach Sportwissenschaftsstudenten, die nicht Leibeserziehung studiert haben, unterrichten dürfen". Da gerade die Vermittlung im Sportunterricht eine entscheidende Rolle spielt, "darf man sich nicht wundern, wenn dann zehn Jahre später die Qualifikation für Olympia nicht erfolgt", so Sportlehrer Wolte. (Lisa Winter, derStandard.at, 15.8.2012)