"Ich wünsche niemandem etwas Böses. Ich kann das nicht. Ich weiß nicht, wie man das macht": Janusz Korczak.

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Korczak musiziert mit einigen "seiner" Waisenkinder.

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In der Holocaust-Gedenkstätte Yad Vashem erinnert ein Denkmal an Janusz Korczak und sein Wirken.

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Janusz Korczak, jüdischer Arzt, Pädagoge, Schriftsteller und Leiter eines Warschauer Waisenhauses, wurde von den Nazis ermordet. Wie so viele. Dabei hätte er nicht nur einmal die Möglichkeit gehabt, dem Tod zu entgehen. Doch er wollte seine Waisenkinder nicht alleine lassen, als sie im Vernichtungslager Treblinka ins Gas geschickt wurden. "Nicht jeder ist ein Schuft", soll er gesagt haben, als ihm ein Bahnhofskommandant auf dem Weg ins KZ die Rettung anbot. Seine Spuren und die der Waisenkinder verlieren sich im August 1942 in Treblinka.

"Wollte es ihnen leichter machen"

Der Komponist Władysław Szpilman wird Augenzeuge, als die Nazis Korczak und die Kinder aus dem Warschauer Ghetto abtransportieren. Er notiert: "Lange Jahre seines Lebens hatte er mit Kindern verbracht, und auch jetzt, auf dem letzten Weg, wollte er sie nicht allein lassen. Er wollte es ihnen leichter machen. Sie würden aufs Land fahren, erklärte er den Waisenkindern. Endlich könnten sie die abscheulichen, stickigen Mauern gegen Wiesen eintauschen, auf denen Blumen wüchsen, gegen Bäche, in denen man würde baden können, gegen Wälder, wo es so viele Beeren und Pilze gäbe. Er ordnete an, sich festtäglich zu kleiden, und so hübsch herausgeputzt, in fröhlicher Stimmung, traten sie paarweise auf dem Hof an."

Szpilman ist von Korczaks Mitmenschlichkeit schier überwältigt: "Als ich ihnen an der Gęsia-Straße begegnete, sangen die Kinder, strahlend, im Chor. Korczak trug zwei der Kleinsten, die ebenfalls lächelten, auf dem Arm und erzählte ihnen etwas Lustiges. Bestimmt hat der 'Alte Doktor' noch in der Gaskammer, als das Zyklon schon die kindlichen Kehlen würgte und in den Herzen der Waisen Angst an die Stelle von Freude und Hoffnung trat, mit letzter Anstrengung geflüstert: 'Nichts, das ist nichts, Kinder', um wenigstens seinen kleinen Zöglingen den Schrecken des Übergangs vom Leben in den Tod zu ersparen."

"Dem Kinde zu dienen"

1878 wird Janusz Korczak als Henryk Goldszmit in eine wohlhabende Warschauer Anwaltsfamilie geboren. Für seine Eltern spielt Religion kaum eine Rolle, erst durch den wachsenden Antisemitismus der 1920er Jahre beginnt Henryk, sich mit seiner jüdischen Abstammung zu beschäftigen. Schon als Gymnasiast schreibt er, und früh interessieren ihn Erziehungsfragen. 1898 legt er sich das literarische Pseudonym Janusz Korczak zu, das er zeitlebens behalten wird. Er verfasst zahllose Dramen, Artikel und Romane, die stets um pädagogische Fragen kreisen. Er beginnt in Warschau Medizin zu studieren, betreut Kinder im Armenviertel, arbeitet als Erzieher. 1911 entschließt er sich gegen eine eigene Familie: "An Sohnes statt nahm ich die Idee, dem Kinde zu dienen."

1912 wird Korczak Leiter des nach seinen Plänen erbauten jüdischen Waisenhauses in der Warschauer Krochmalnastraße. Er reduziert die ärztliche Tätigkeit und konzentriert sich bald ganz auf das Waisenhaus. Mit dem Geld, das er als Schriftsteller verdient, unterstützt er arme und verwahrloste Kinder. Mehrfach fährt er als unbezahlter Betreuer zu sogenannten Sommerkolonien – durch Spenden finanzierte Ferienlager für Kinder des städtischen Proletariats. Im Ersten Weltkrieg arbeitet er als Militärarzt, vermutlich entsteht in dieser Zeit sein erstes pädagogisches Hauptwerk – "Wie liebt man ein Kind".

Keine Emigration – der Kinder wegen

Nach dem Krieg übernimmt er die Leitung eines zweiten Waisenhauses, unterrichtet als Dozent für Sonderpädagogik, wird Sachverständiger für Erziehungsfragen und Redakteur der Kinderzeitung "Mały Przegląd" (Kleine Rundschau). Angesichts des immer bedrohlicheren Antisemitismus beschäftigt er sich ab Mitte der 1930er Jahre mit dem Zionismus und reist zweimal nach Palästina. Der Kinder wegen entschließt er sich aber gegen die Emigration. 1935 heuert er beim polnischen Rundfunk an, plaudert vor dem Mikrofon mit Kindern und über Kinder.

Im September 1939 starten die Nazis ihren Polenfeldzug, im Oktober folgt der Befehl zur Umsiedlung der gesamten jüdischen Bevölkerung Warschaus ins Ghetto. Auch Korczaks Kinder müssen umziehen. Den schrecklichen Bedingungen im Ghetto zum Trotz findet Korzcak noch die Kraft für schriftliche Notizen. Im August 1942 beginnen die Nazis mit dem Abtransport von 192 Waisenkindern ins Vernichtungslager Treblinka. Korczak weiß, was die Kinder dort erwartet. Er lässt sie nicht allein.

Seiner Zeit weit voraus

Was bleibt, ist die Erinnerung an einen großen Humanisten – und an einen hellsichtigen Pädagogen und frühen Kämpfer für Kinderrechte. Korczaks Bücher sind auch heute noch überaus populär – nicht nur in Polen. Seine Erziehungsideale seien absolut aktuell, sagt die polnische Erziehungswissenschaftlerin Krystyna Starczewska. "Erziehung nach seinen Idealen heißt nicht, ein Kind zu formen, sondern in Dialog mit ihm zu treten."

Korczak trat gegen Prügelstrafe und Rohrstock auf und sah Kinder stets als individuelle Persönlichkeiten, denen Respekt durch die Erwachsenen zustand. Er plädierte für Unterstützung statt Zwang in der Erziehung, für Förderung und Liebe statt Drill und Angst. In Korczaks Waisenhaus gab es ein sogenanntes Kindergericht – die Kinder sollten selbst entscheiden, wie sie mit Verfehlungen anderer Kinder umgehen wollten. Im hauseigenen Kinderparlament und einer Zeitung konnten die Buben und Mädchen ihre Bedürfnisse und Wünsche selbst ausdrücken. All das zu einer Zeit, in der das herrschende Erziehungsideal vor allem darin bestand, Kindern eigene Gedanken und Gefühle auszutreiben. (Lisa Mayr, derStandard.at, 3.9.2012)