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Der Welt droht die dritte Preiskrise für Nahrungsmittel in nur fünf Jahren.

Foto: APA/Joenssen Kerstin

Ein Gespenst geht um in Banken und Versicherungen. Es verjagt die für Anleger von der Straße konzipierte Spekulation auf Nahrungsmittel. Österreichische Volksbanken AG (ÖVAG), Raiffeisen Centrobank und Commerzbank wetten nicht mehr auf Getreide, Mais, Soja und Co. So gut wie ein Schuldeingeständnis, das zu spät kommen könnte. Jahrelang haben diese Finanzprodukte ihren Teil zur kräftigen Preiserhöhung von Nahrungsmitteln beigetragen. Die heurigen Missernten haben die Preise zudem in den Himmel schießen lassen. Nun bangen die Ärmsten der Welt um ihr Täglich Brot.

"Wir verstehen die Argumente der Kritiker und werden [...] in diesem Bereich keine neuen Produkte mehr anbieten und ziehen sämtliche Angebote in diesem Bereich zurück", schreibt die ÖVAG am Dienstag. Pikant dabei: Erst am Montag hatte die institutseigene Volksbank Investments das Zertifikat "Agrar Rohstoff Garant 2" aufgelegt. Als Anleger setzt man dabei über fünf Jahre auf steigende Nahrungsmittelpreise. Mit dem plötzlichen Schwenk reagiert man "auf die mediale Berichterstattung". Die Bank wurde unter anderem dafür kritisiert, mit der momentan in den USA und anderen Ländern auftretenden Dürre zu argumentieren.

Wenn Nahrungsmittel vom Finanzmarkt abhängen

Die wirklich Großen im Agrarrohstoffcasino, wie Goldman Sachs, Allianz oder die Deutsche Bank sind weiter dick im Geschäft. Sie konzipieren ihre Produkte nicht für Bauern, die sich absichern wollen, sondern für Pensionsfonds und andere Großinvestoren. Die Verbraucherorganisation Foodwatch kritisierte vor allem die Deutsche Bank stark. Mit ihrer Kampagne "Hände weg vom Acker, Mann" (Video) nahm man den langjährigen Institutschef Josef Ackermann in die Zange. Über 60.000 Menschen schrieben im Rahmen dieser Aktion eine Protest-Mail an die Bank.

Da in Schwellenländern wie China, Indien oder den Philippinen der Mehrkonsum an Getreide und Co. die Produktion derselben weit übersteigt, macht es aus marktwirtschaftlicher Sicht Sinn, von dieser im Fachjargon "Preisrally" genannten Entwicklung zu profitieren. Allerdings fällt auf, dass die divergierenden Erntemengen der letzten Jahre den steigenden Preisen nichts anhaben konnten. Gerade in einer Zeit, als die Finanzkonzerne in großem Stil den Markt aufbereiteten. "Die Preise von Agrarrohstoffen laufen heute im Gleichschritt mit klassischen Wertpapieren", so Heiner Flassbeck, Chefökonom der UN-Organisation für Welthandel und Entwicklung (UNCTAD). Wie groß der Einfluss der Zocker darauf wirklich ist, ist noch nicht endgültig geklärt. Studien sprechen von null bis 20 Prozent. Die Verstärkung von Trends sehen aber viele als erwiesen an.

Soziale Unruhen drohen

Vor allem die seit mehr als 50 Jahren schlimmste Dürreperiode in den USA beeinflusst den Weltmarkt stark. Rund 13 Prozent weniger Getreide und bis zu 17 Prozent weniger Mais und Soja dürften 2012 im Jahresvergleich geerntet werden. Der Flächenertrag ist damit so gering wie seit 1995 nicht mehr. Zudem enden 40 Prozent der US-Maisernte als Biosprit, was die Industrie gerne verschweigt. Auch das trägt sein Scherflein zu den stark ansteigenden Preisen bei.

"Hohe Nahrungsmittelpreise sind besonders für arme Länder problematisch, die einen Großteil ihrer Nahrungsmittel importieren, wie die große Mehrheit der afrikanischen Staaten", erklärt Ralf Südhoff, Deutschland-Chef des UN World Food Programme (WFP). Erhöhten sich die Einfuhrpreise, werde es für diese Länder schwieriger, ihre Bevölkerung zu ernähren. "Viele Haushalte in Entwicklungsländern geben ohnehin 60 bis 80 Prozent ihres Einkommens für Nahrungsmittel aus."

Explodierende Preise und schlechte Ernten: diese Kombination könnte einmal mehr die Basis für soziale Unruhen in Afrika, Asien und Südamerika bilden. Noch gut in Erinnerung ist die von massiven Protesten begleitete Lebensmittelkrise im Jahr 2008. In mehreren westafrikanischen Ländern, in Ägypten, Indonesien, oder den Philippinen gab es Ausschreitungen, in Haiti wurde sogar die Regierung gestürzt. Damit sich das nicht wiederholt, stehen die führenden Industrie- und Schwellenländer, die G20, vor der Einberufung eines Notgipfels ("Forum für schnelle Koordination"). Sollte sich die Lage in den USA und Russland verschlechtern, werde man sofort reagieren, sagte der französische Agrarminister Stephane Le Folle am Montag.

Ein Geschäft ist ein Geschäft

In den USA liegt es auch an Präsident Barack Obama, die Lage zu beruhigen und die Zeichen auf Wandel zu setzen. Er tritt im Rahmen seines Wahlkampfes diese Woche in Iowa auf. Die Kornkammer der Staaten leidet besonders unter den Missernten der letzten Jahre. Die von den Bauern geforderte finanzielle Hilfe wird Obama leisten. Eine klare Haltung erwarten sich die Amerikaner auch zur umstrittenen Biospritpolitik. Nachdem die Vereinten Nationen der USA schon länger die Verspritung von Lebensmitteln ausreden wollen, kommt nun auch im Inland Kritik auf.

Und was die Spekulation betrifft: Gerne zieht sich die Finanzwelt nicht aus dem Geschäft mit Nahrungsmitteln zurück. Die gescholtene Deutsche Bank legt zwar einstweilen keine neuen Angebote mehr auf, sollten die gerade stattfindenden hausinternen Überprüfungen aber grünes Licht geben, will man weitermachen. Zudem gibt es Firmen, die schon enthusiastischer mit einem Investitionsfeld gebrochen haben als die eingangs erwähnte ÖVAG. Denn prinzipiell sei der Handel "mit jeglichen Produkten notwendig", um die Wirtschaft "stabil zu halten bzw. anzukurbeln". (Hermann Sussitz, derStandard.at, 14.8.2012)