Washington/Kairo - Die USA sind von der Entmachtung der Militärführung durch den islamistischen Präsidenten Ägyptens, Mohammed Mursi, nicht überrascht worden. Wie der Sprecher des Verteidigungsministeriums, George Little, am Montag in Washington erklärte, hatten die USA erwartet, dass Mursi sein eigenes Team im Bereich Verteidigung ernennen werde. Washington hoffe, dass die militärische und die zivile Führung an der Lösung der Probleme des Landes arbeiten werde.

Der erste frei gewählte Präsident in der Geschichte Ägyptens hatte am Sonntag überraschend die Armeeführung entmachtet und die ganze Macht im Staat an sich gezogen. Er entließ den Armeechef und Verteidigungsminister Mohammed Hussein Tantawi und den Generalstabschef Sami Enan. Darüber hinaus setzte er die Verfassungserklärung vom Juni außer Kraft, mit der die Militärs seine Macht eingeschränkt hatten.

Breite Zustimmung

Für seine überraschenden Offensive gegen das Militär bekam Mursi breite Zustimmung aus der Bevölkerung. Der ehemalige Dissident und Generaldirektor der Atomenergiebehörde (IAEA), Mohammed el-Baradei, sprach von einem "Schritt in die richtige Richtung". Auch Vertreter der Protestbewegung, die im Februar 2011 zum Sturz des damaligen Präsidenten Hosni Mubarak geführt hatten, äußerten sich positiv. Juristen kritisierten Mursi aber wegen der möglichen Überschreitung seiner Kompetenzen. Die EU forderten weitere Reformen und Stärkung der Demokratie. Israel verfolgt die Entwicklung besorgt.

An die Stelle Tantawis berief Mursi den bisherigen Chef des Militärgeheimdienstes, Abdel Fattah al-Sisi. Dieser gehört einer jüngeren Generation von Militärs an. Aus seiner bisherigen Arbeit weiß Al-Sisi, welche Offiziere und Einheiten loyal zum islamistischen Präsidenten Mursi stehen.

Militärrat äußerte sich nicht

Der bisher mitherrschende Militärrat äußerte sich zunächst nicht zu den Ereignissen. Damit bleibt unklar, in welchem Umfang Tantawi und andere Generäle im Voraus über ihre Entmachtung informiert worden waren. Politologen und Analysten in Kairo gehen aber davon aus, dass zumindest Al-Sisi in die Pläne eingeweiht war. "Mursi ging ein kalkuliertes Risiko ein", sagte der Politologe Amr Hamzawy von der Amerikanischen Universität in Kairo. Tatsächlich schienen sich die Militärs mit dem Machtverlust abzufinden. Es gab zunächst keine Hinweise auf einen bevorstehenden Putsch der geschassten Generäle.

In einer Ansprache am späten Sonntagabend bemühte sich Mursi, den Streitkräften zu schmeicheln. Er werde sie stets bei der Erfüllung "ihrer geheiligten Aufgabe zum Schutz der Nation" unterstützen, sagte er. "Meine Entscheidungen zielten nie darauf ab, irgendeine staatliche Institution zu beleidigen", fügte er hinzu.

Macht gefestigt

Mursi festigte mit seinem ebenso kühnen wie überraschenden Schritt seine Macht in beispielloser Weise. Nach dem Sturz Mubaraks hatte der Oberste Militärrat das Heft in die Hand genommen und die Macht nur sehr zögerlich wieder abgegeben. Mit einer neuen Verfassungserklärung übertrug Mursi am Sonntag die Vollmachten, die bisher die Militärs exklusiv für sich beansprucht hatten, auf sich selbst. Damit kann er nun Gesetze erlassen und selbst den Staatshaushalt festlegen.

Mursi bekannte sich erneut zum geltenden Fahrplan für den demokratischen Übergang. Nach der Ausarbeitung einer neuen Verfassung durch die derzeit tätige Verfassungsversammlung und ihrer Billigung durch ein Referendum soll ein neues Parlament gewählt werden.

"Es ist eine Übertragung der Macht auf den Präsidenten in guter Absicht", kommentierte der moderate Islamist Abdel Moneim Abul Futuh Mursis Schritt am Montag. "Seine Entscheidungen verdienen unsere Unterstützung", erklärte Ahmed Maher, der Mitbegründer der am Mubarak-Sturz beteiligten Jugendbewegung 6. April, über die Internet-Plattform Twitter. "Ich denke, genau das wollten wir."

Warnung von El Baradei

Trotz seiner Zustimmung warnte El Baradei: "Ein Präsident, der sowohl exekutive als auch gesetzgeberische Vollmachten hat, widerspricht dem Kern der Demokratie. Das kann nur ausnahmsweise und provisorisch gehen."

Offene Kritik kam vor allem aus Juristenkreisen. "Ein Präsident hat nicht die Vollmacht, eine Verfassung zu ändern, auch nicht eine provisorische", sagte die Verfassungsrichterin Tahani al-Gabali dem Portal "alahramonline". "Mursi hätte sich an die geltende Verfassungserklärung halten müssen."

Israel besorgt

Israel reagierte besorgt. Angesichts der Gewalt auf der Halbinsel Sinai sei die Regierung in Jerusalem nun besorgt über die Entwicklung, die aber noch nicht ganz absehbar sei, schrieb "Yedioth Ahronot" unter Berufung auf einen ungenannten Sprecher der Regierung. Allerdings wurde auch daraufhin hingewiesen, dass die neue Militärspitze ebenfalls gute Beziehungen zu Israel habe.

Der deutsche Außenminister Guido Westerwelle zeigte sich aber angesichts des Machtkampfes in Ägypten besorgt über die Zukunft des Landes. "Das sind Schicksalstage für Ägypten. Die Zukunft des Landes wird von den Bürgern und den politischen Institutionen in Ägypten entschieden", sagte Westerwelle der in Düsseldorf erscheinenden "Rheinischen Post" (Dienstag). Ägypten sei ein "Schlüsselland im arabischen Raum". Westerwelle forderte Mursi auf, sich an die Ankündigung zu halten, eine Demokratie aufzubauen.

Auch die Europäische Union betonte die Notwendigkeit einer weiteren Demokratisierung. Die EU habe "die Entscheidungen Mursis, die die Übergabe der Macht an demokratisch gewählte Stellen abschließen, zur Kenntnis genommen", sagte der Sprecher der EU-Außenbeauftragten Catherine Ashton, Sebastien Brabant, in Brüssel. Die EU erwarte einen raschen Abschluss der Arbeiten an einer neuen demokratischen Verfassung sowie baldige Parlamentswahlen. (APA, 14.8.2012)