Ein Gespräch über seine Wege zum Dirigieren und das West-Eastern Divan Orchestra.
Salzburg - Wo immer er auch landet, Daniel Barenboim entfaltet markante Präsenz. Und damit ist nicht die Selbsteinschätzung des 69-Jährigen gemeint, der von sich behauptet, der einzige Dirigent der Welt zu sein, " den alle riechen können". Barenboim ist ja Zigarrenraucher, und es geht das Gerücht, dass seine Mitarbeiter am Tabakgeruch in den Gängen erkennen, ob der Chef der Deutschen Oper Berlin im Haus ist.
Gemeint ist vielmehr, dass trotz der scheinbaren Omnipräsenz Barenboims, der seit seinem 14. Lebensjahr raucht, selbiger durch spezielle Projekte den Eindruck erweckt, immer künstlerisch Umfassendes, über ein Konzert Hinausgehendes im Sinn zu haben. Im Musikverein hat er unlängst alle Bruckner-Symphonien in kurzer Zeit mit Mozarts Klavierkonzerten verbunden. Und bei den Salzburger Festspielen wird er nach seinem Konzert mit dem 1999 gegründeten, aus Israelis und Arabern zusammengestellten West-Eastern Divan Orchestra an drei Abenden als Pianist Franz Schubert spielen.
Auch mit Scala zu Gast
Zudem schließen die Salzburger Festspiele fast mit Barenboim: Mit dem Orchester der Mailänder Scala wird er am 1. September Verdis Requiem geben. Er ist ja Musikdirektor des italienischen Opernhauses, "was auch den Vorteil hat, dass wir zwischen Mailand und Berlin in Kooperation Dinge ermöglichen konnten, die sonst nur schwer realisierbar wären. Etwa den Ring des Nibelungen von Richard Wagner."
Barenboim, in Argentinien geboren, ist also so etwas wie ein umtriebig-tiefsinniger Universalist, der allerdings zunächst nur an eine Pianistenkarriere dachte. Wobei: Dass er Dirigent wurde, ergab sich direkt aus dem Klavierspiel. Vor vielen Jahre trug sich Barenboim mit dem Gedanken, die Klavierkonzerte von Mozart vom Klavier aus zu dirigieren, und erhielt vom Kollegen Edwin Fischer einen Rat. "Er meinte: ,Wenn du Mozart vom Klavier aus leiten willst, musst du unbedingt zuerst dirigieren lernen. Wenn du das nicht tust, dirigierst du nicht vom Flügel aus, sondern spielst Mozart ohne Dirigenten. Das ist ein großer Unterschied.' Das war ein guter Rat", so Barenboim.
Allerdings macht er auch Komponist Anton Bruckner dafür verantwortlich, dass es ihn schließlich zum Dirigieren zog. "Ich war 15, spielte in Australien Beethoven unter Dirigent Rafael Kubelík und hörte danach, wie er die Neunte von Bruckner interpretierte. Damals begann meine Auseinandersetzung mit Bruckner, und auch wegen dieser Eindrücke bin ich Dirigent geworden. Bis dahin dachte ich, ich werde nur Pianist." Damals hatte er natürlich auch keine Vorstellung davon, dass er dereinst ein Orchester gründen würde, dass zwar musikzentriert ist, jedoch auch eine versöhnliche Botschaft verbreitet. Das West-Eastern Diva Orchestra, das er zusammen mit dem palästinensischen Literaturtheoretiker Edward Said aus der Taufe hob, nennt er mittlerweile allerdings sein wichtigstes Projekt. Verdeutlicht wird dies auch dadurch, dass er nun mit diesem Orchester alle neun Beethoven-Symphonien (bei Universal) veröffentlicht hat:
"Als die Idee in Weimar entstand, dieses Orchester zu gründen, ging es darum, nicht nur musikalische, sondern auch gewissermaßen soziologisch-humanistische Aspekte zu integrieren. Rein musikalisch betrachtet bot sich natürlich Beethoven an, damals begannen wir mit der siebten Symphonie. Man muss sich ja vorstellen: 1999 hatten 60 Prozent der teilnehmenden Musiker noch nie in einem Orchester gespielt, und 40 Prozent hatten noch nie ein Orchester live gehört!"
So fand Barenboim, dass die Beschäftigung mit Beethovens Symphonien sehr viel Elementares vermittlen konnte: "Die Aspekte Rhythmus, harmonische Empfindsamkeit und dynamische Bandbreite sind bei ihm so unglaublich klar und konsequent durchgearbeitet, dass man durch die Beschäftigung mit Beethoven sehr viel für die eigene Entwicklung als Orchestermusiker lernen kann. Das vermag man nicht über jeden Komponisten zu sagen."
Die Erzählung des anderen
Ein politisches Projekt möchte er das West-Eastern Divan Orchestra nicht nennen. "Keiner der Musiker aus den arabischen Ländern und kein Israeli repräsentiert seine Regierung. Allerdings hat jeder die Neugier, die Erzählung des anderen zu hören und zu respektieren, auch wenn er mit dieser Erzählung nicht einverstanden ist. Deswegen ist es ein humanistisches Projekt und kein politisches. Ja, es gibt eine Idee vom Frieden, und das Projekt hat mit einer alternativen Art zu denken zu tun. Aber es wird weder in Israel noch in der arabischen Welt bewundert. Es ist ein Kontrapunkt zu allem, was in diesen Ländern gesagt wird."
In Salzburg ist Barenboim jedenfalls willkommen. Wenn es nach Intendant Alexander Pereira ginge, könnte er jährlich gastieren. Man wird sehen. Vorerst feiert er ein Jubiläum. Vor 60 Jahren hat er erstmals in Salzburg in die Tasten gegriffen. (Ljubiša Tošić, DER STANDARD, 14./15.8.2012)