"Dass in dieser Affäre nur die ÖVP verstrickt ist, glaubt niemand", sagt der ehemalige Landeshauptmann über die Affäre Birnbacher.

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"Jetzt ist Krisenmanagement angesagt. Die beste Frau oder der beste Mann müssen für jede Position gefunden werden" über die Zukunft der Kärntner ÖVP.

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"Ich wollte nicht mit aufgebrachten FPÖ-Wählern in Körperkontakt treten" über seine Wahl zum Landeshauptmann, die von starken Protesten der FPÖ begleitet wurde.

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"Der Kärnter ÖVP geht es sehr schlecht", sagt der ehemalige Kärntner Landeshauptmann Christof Zernatto (ÖVP) im Gespräch mit derStandard.at. Er kritisiert die Personalstrategie der Parteien, die Kärntner ÖVP dürfe nicht mehr darauf Rücksicht nehmen, woher ein Kandidat stamme, sondern ob er oder sie am besten seien. Was das "System Haider" ausgemacht hat und welche Gefahren er für Kärnten sieht, erklärte er Marie-Theres Egyed und Rosa Winkler-Hermaden. 

derStandard.at: Sind Sie in Ihrer Zeit als aktiver Politiker jemals in Versuchung gekommen, ein Geldkuvert anzunehmen?

Zernatto: Gott sei Dank nicht, das war offensichtlich damals nicht üblich.

derStandard.at: Ist es heute üblich?

Zernatto: Ich höre nur immer wieder, dass irgendetwas "Part of the Game" sei, aber ich weiß es nicht, ich bin nicht mehr politisch aktiv.

derStandard.at: In den letzten Tagen war viel vom "System Haider" die Rede, wie würden Sie Jörg Haider beschreiben?

Zernatto: Es ist immer sehr schwer jemanden, der bereits verstorben ist, zu beurteilen. Harald Ofner (FPÖ-Politiker und ehemaliger Justizminister, Anm.) hat das sehr gut beschrieben: Haider war zweifelsohne ein großes politisches Talent, hat aber dieses Talent mit sehr viel negativer Energie versehen. Er hat sehr viel aufgebaut, aber er hat auch sehr viel zerstört. Er hat zu großen Emotionen geneigt, die Höhen und Tiefen seines Lebens sind ja sprichwörtlich.

derStandard.at: Wie bewerten Sie das System Haider?

Zernatto: Das war einfach sein ganz persönlicher Führungsstil. Er hat sich mit sehr loyalen Mitarbeitern umgeben, für die er auch Vorbild war. Wenn ich mir den Herrn Petzner in den letzten Tagen angehört habe, waren manche Aussagen sehr entlarvend. Er hat in der "Kleinen Zeitung" gesagt, "wenn man ethische und moralische Bedenken hat, hat man den falschen Job". Außerdem sei es seine Aufgabe gewesen, Gabriele Schaunig (SPÖ, Stellvertretende Landeshauptfrau unter Jörg Haider, Anm.) aus dem Amt zu mobben, weil sie den Hypo-Verkauf kritisiert hatte. Da stellt es mir die Nackenhaare auf. Wo sind wir heute in der politischen Auseinandersetzung gelandet? Ich weiß nicht, wie ich das mit meinem Verständnis von Demokratie in Einklang bringen soll.

derStandard.at: Verurteilen Sie das System Haider?

Zernatto: Welches System das auch immer ist und wer der Vater dieses Systems ist, so einer Politik stimme ich nicht zu. Damit werden demokratische Strukturen bewusst gefährdet. Was wir jetzt erleben, sind Systemauswirkungen. Das hat die Glaubwürdigkeit der Politik insgesamt so erschüttert, dass mir angst und bange wird.

derStandard.at: Warum haben die Leute kein Vertrauen mehr in die Politik?

Zernatto: Die Menschen haben letztendlich immer geglaubt, dass sie sich in einer repräsentativen Demokratie frei bewegen können und dass man eigentlich jeder Partei seine Stimme geben kann. Das Vertrauen ist aber erschüttert. Wenn ich durch das Land fahre, mit meinen Freunden und Bekannten rede, dann herrscht nur noch blankes Entsetzen. Die Leute sagen, dass sie nicht mehr zur Wahl gehen wollen. Das ist das schlimmste, was Menschen sagen können, wenn sie in den bestehenden politischen Gruppierungen keine Alternativen mehr erkennen können und sich abwenden. Das ist gefährlich.

derStandard.at: Inwiefern gefährlich?

Zernatto: Ich glaube, dass es nahezu notgedrungen "Retter-Figuren" anzieht. Das will ich nicht erleben. Deswegen brauchen wir einen Neubeginn; einen wirklichen Neubeginn, wo die politischen Gruppierungen ihre persönlichen Interessen hinter das Gemeinwohl stellen.

derStandard.at: Sprechen Sie von Kärnten oder von ganz Österreich?

Zernatto: Kärnten ist jetzt die Spitze des Eisberges, aber es betrifft auch ganz Österreich. Man braucht sich nur die Erfolge einer Piratenpartei in Deutschland anschauen oder den Zerfall der Parteienstrukturen in Italien. Man muss nachdenken, wie man das Vertrauen der Bevölkerung wiedergewinnt. Man muss verhindern, dass sich die Menschen nach Alternativen zur Demokratie umschauen. Ich will nicht den Teufel an die Wand malen, aber genau das sind Anzeichen dafür.

derStandard.at: Das heißt ein Neubeginn mit neuen Köpfen?

Zernatto: Die politischen Parteien müssen grundsätzlich ihre Personalstrategien überdenken. Ich spreche auch für die Kärntner VP, die mir wirklich am Herzen liegt. In der Krise liegt auch eine echte Chance, es kann jetzt für die Kärntner VP nicht mehr wichtig sein, ob jemand männlich oder weiblich ist, ob jemand aus Hermagor oder Bad Reichenfels stammt. Jetzt ist Krisenmanagement angesagt. Die beste Frau oder der beste Mann müssen für jede Position gefunden werden.

derStandard.at: Wer ist ihr Wunschkandidat?

Zernatto: Ich habe keinen Wunschkandidaten. Ich bin seit 12 Jahren in Wien, mein Kontakt zur Partei war nicht sehr stark, weil mir weder die strategische Ausrichtung zugesagt hat, noch hatte ich eine Nähe zu den handelnden Personen.

derStandard.at: Wie bewerten Sie die Rolle von Parteichef Spindelegger?

Zernatto: Dass er sich öffentlich nicht dazu äußert, kann ich verstehen, ich hoffe nur, dass er es intern tut. Die Kärntner VP braucht jetzt die Unterstützung der Gruppe. Man muss sich bewusst sein, dass eine Gruppe besonders dann Unterstützung braucht, wenn es ihr schlecht geht. Und der ÖVP-Kärnten geht es momentan sehr schlecht.

derStandard.at: Kennen Sie eigentlich Dietrich Birnbacher?

Zernatto: Ich kenne alle handelnden Personen. Aber was soll ich dazu sagen?

derStandard.at: Im Moment schaut es so aus, als würde die Affäre an der ÖVP hängen bleiben.

Zernatto: Die Glaubwürdigkeit aller Zeugen und Angeklagten in diesem Prozess ist schon so häufig erschüttert worden, dass keiner glaubwürdiger oder unglaubwürdiger ist. Es gilt die Unglaubwürdigkeitsvermutung. Dass in dieser Affäre nur die ÖVP verstrickt ist, glaubt niemand.

derStandard.at: Zum Prozess kommen viele Zuschauer. Wie schätzen Sie die Stimmung im Volk ein?

Zernatto: Das ist schon ein gewisser Voyeurismus. Das ist die Wut des normalen Bürgers, der immer von der Überzeugung ausgegangen ist, die Großen lässt man laufen, die Kleinen hängt man auf. Für sie ist es eine gewisse Befriedigung zu sehen, dass es diesmal anders ist. Man hatte das Gefühl, dass die Justiz nicht alle Fälle mit Nachdruck verfolgt hat. Das könnte ein Nebeneffekt des "Schauprozesses" sein. Manche Dinge erfahren eine größere Dynamik.

derStandard.at: Stichwort Karl-Heinz Grasser?

Zernatto: Wie gesagt, ich kenne alle handelnden Personen und möchte niemanden Steine nachwerfen. Mir geht es darum, wie kann man diese Situation bereinigen und das Vertrauen der Bevölkerung wiedergewinnen. Das gilt für die FPK genauso wie die ÖVP aber auch für die SPÖ, die momentan nur glaubt, dass sie profitiert.

derStandard.at: Wie kann die Politik das Vertrauen wiedergewinnen?

Zernatto: Mit mehr Transparenz und mit wirklich auch der notwendigen Verstärkung von Kontrollrechten. Im Landtag, im Parlament, wo auch immer.

derStandard.at: Wie kann man die Kontrolle verstärken?

Zernatto: Indem man zum Beispiel die Minderheitenrechte stärkt. Systeme müssen verhindert werden, die nahezu notgedrungen zu Gegengeschäften - was unter Packelei verstanden wird - führen. Das Proporz-System in Kärnten ist überfällig. Es sollte eine echte Opposition geben.

derStandard.at: Sie haben die Stärkung der Minderheitenrechte ansprechen, das fordern auch die Grünen - wie beurteilen Sie ihre Arbeit?

Zernatto: Das waren gar nicht die Grünen, das war der Herr Holub als Person. Durch seine Hartnäckigkeit und sein Beharrungsvermögen hat er es erst möglich gemacht, dass dieses Aufbrechen stattgefunden hat. Das Verfahren wurde zweimal eingestellt und ohne ihn hätte es eine Wiederaufnahme wahrscheinlich nicht gegeben. Das heißt: Höchster Respekt!

derStandard.at: Nicht nur die Grünen treten für Neuwahlen ein. Die FPK blockiert derzeit aber alle Neuwahlanträge durch Verlassen des Landtages. Sie haben das 1991 selbst erlebt, als die FPÖ sechsmal durch Auszug aus dem Landtag Ihre Wahl zum Landeshauptmann verhindert hat.

Zernatto: Ja, ich kenne diese Situation sehr gut. Es ist zwar ein legitimes, aber auf Dauer ein untaugliches Mittel. Der Druck aus der Öffentlichkeit und über die Medien, wird so groß, dass das nicht auszuhalten ist.

derStandard.at: Wie lange wird das die FPK noch durchziehen?

Zernatto: Nicht lange. Ich gehe davon aus, dass man sich durch die von Landeshauptmann Dörfler initiierten Gesprächsrunden auf einen Termin einigen kann. Das wird wahrscheinlich das Frühjahr 2013 sein. Das ist kurz genug, um die Erinnerung an den Prozess noch aufrecht zu erhalten und lange genug, damit die Parteien wieder eine Chance haben, sich neu zu strukturieren.

derStandard.at: Führende Wirtschaftstreibende fürchten einen Wettbewerbsnachteil für Kärnten.

Zernatto: Diese Situation trägt nicht dazu bei, Ruhm und Ehre in die Welt hinauszutragen. Ich bin selbst Kärntner in Wien. Man muss sich vieles anhören und braucht dazu gar nicht ins Ausland zu fahren. "Wie kommen wir dazu, dass wir für euch da unten brennen und blechen?" Manche haben Kärnten als die Griechen Österreichs bezeichnet.

derStandard.at: Georg Wurmitzer, Ihr Nachfolger als ÖVP-Obmann in Kärnten, hat Wolfgang Schüssel stark kritisiert. Er hat gesagt, Schüssel habe seine Wiederwahl als Kärntner Parteiobmann verhindert. Haben Sie auch Weisungen vom ehemaligen Bundeskanzler erhalten?

Zernatto: Ich war zehn Jahre lang Parteiobmann der Kärntner ÖVP und habe bis zu meiner letzten Wahl auch von der Bundespartei immer die Erfolgsvermutung auf meiner Seite gehabt. Leider Gottes hat es beim letzten Mal nicht ganz funktioniert. Wir haben damals überhaupt keine Einflussnahme der Bundespartei auf unsere strategische Ausrichtung gehabt. Ich kann nicht beurteilen, ob es sich dann geändert hat. Der Georg Wurmitzer ist aber sicher kein Lügner, er ist ein glaubwürdiger Mann.

derStandard.at: Sie haben also keine Weisungen aus Wien erhalten?

Zernatto: Im Gegenteil. Ich hatte ja eine wirklich extreme Situation, als wir 1991 die Abwahl Haiders beschlossen haben. Busek war Parteiobmann, es hat ein Telefonat gegeben. Ich habe zu ihm gesagt, was wir vorhaben und dass ich ihn informieren wollte. Er hat mich auf das Risiko hingewiesen: "Wenn du glaubst, dann mach es. Aber du hast die Verantwortung". Es war dann schon ein bisschen schwerer, als ich mir das am Anfang vorgestellt habe. Das emotionale Umfeld war extrem. Letztendlich hat es sich als richtiger Schritt herausgestellt.

derStandard.at: Was daran war emotional anstrengend?

Zernatto: Bis zu dem Zeitpunkt wurde in Österreich noch nie ein Landeshauptmann abgewählt. Die FPÖ hat damals aus ganz Österreich Busse voller Leute zum Neuen Platz in Klagenfurt gekarrt und eine Massenkundgebung abgehalten. Haider hat entsprechend ins Horn geblasen. In diesem Moment habe ich mir gewünscht, dass die Landesregierung ein Hintertürl hätte. Ich wollte nicht mit aufgebrachten FPÖ-Wählern in Körperkontakt treten.

derStandard.at: Hätten Sie für diese Aktion die gleiche Rückendeckung von Wolfgang Schüssel erhalten?

Zernatto: Damals sicher, ich zweifle nicht daran.

derStandard.at: Wolfgang Schüssel ist später eine Koalition mit der FPÖ eingegangen, es ist viel negativer Beigeschmack aus dieser Zeit geblieben. Sollte die ÖVP nach der Wahl wieder in die Versuchung kommen, eine Koalition mit der FPÖ zu schließen, was würden Sie raten?

Zernatto: Das ist die unangenehmste Frage für jeden Parteiobmann. Ich bin Gott sei Dank kein Parteiobmann, ich wünsche mir keine Zusammenarbeit mit der FPÖ. Aber würden Sie mich fragen, ob ich mir eine Zusammenarbeit mit der SPÖ wünsche, würde ich auch nein sagen. (Marie-Theres Egyed, Rosa Winkler-Hermaden aus Klagenfurt, derStandard.at, 14.8.2012)