Bild nicht mehr verfügbar.

Die Party ist vorbei, die Medaillen wurden gefeiert, die britischen Fahnen werden eingerollt. London hat den Alltag wieder. Die Stadt wird ihn schon bewältigen.

Foto: dapd/Pisarenko

Nach der erfolgreichen, weltoffenen, durchaus sympathischen Party, die zudem eine britische Goldflut beschert hat, gilt es nun, die wichtigste Frage zu beantworten: Woraus besteht die olympische Hinterlassenschaft in London?

 

Dass die Briten ihre royalen Festivitäten mit militärischer Präzision zu inszenieren verstehen, wusste man längst. In den vergangenen zwei Wochen haben sie bewiesen: Party feiern können sie auch. Man muss nicht gleich die Superlative des gelernten PR-Handwerkers und Premierministers David Cameron glauben: Der schwärmt von "den besten Spielen jemals" und einem "massiven Zugewinn für unser Selbstbewusstsein".

Ganz bestimmt hat der tolle Erfolg der heimischen Athleten dem Land Auftrieb gegeben. Die Goldflut beschränkte sich nicht auf die Bahnradfahrer in obskuren Disziplinen oder die Reiter, die sich aus den reichsten fünf Prozent der Bevölkerung rekrutieren. Die Siebenkämpferin Jessica Ennis, der Langstreckenläufer Mo Farah, die Boxerin Nicola Adams triumphierten nicht nur in klassischen Sportarten. Mit ihrer Hautfarbe und ihren Biografien stehen sie für ein modernes, multiethnisches Land, von der Weltstadt London ganz zu schweigen.

Die Freiwilligen

Das prophezeite Verkehrschaos blieb schon deshalb aus, weil sich die Londoner zu Hunderttausenden aus ihrer Stadt verabschiedet hatten. In der U-Bahn gab es selbst zur Rushhour Sitze, und es geschah Unerhörtes: Angesteckt von der fröhlichen, patriotischen Stimmung kamen wildfremde Leute miteinander ins Gespräch. Im Mittelpunkt stand dabei meistens einer der 70.000 Freiwilligen in ihrer scheußlich pinken Uniform, die den Besuchern der Stadt den Weg wiesen, Athleten die Ausrüstung nachtrugen und Hürden beiseiteräumten - und das alles für Gotteslohn. Da war auf einmal etwas sichtbar von der "Big Society", jenem verschwommenen Konzept Camerons, mit dem der Premierminister Gemeinschaftsgeist und freiwillige Nachbarschaftshilfe fördern will.

Allerdings stellte unter den "Spielmacher" genannten Freiwilligen die weiße Mittelschicht ebenso die überwältigende Mehrheit wie unter den Zuschauern im Olympiapark. Letzteres lag nicht zuletzt an der skandalösen Ticketvergabe durch die Organisatoren. Die offizielle Website des Londoner OK Locog hätte jeder Anfänger eines IT-Kurses besser hinbekommen. Vor allem aber kamen Hunderttausende von Tickets nicht zum Verkauf. Abgesehen vom Olympiastadion selbst waren im TV bis zuletzt gähnend leere Tribünen zu besichtigen - Plätze, die von Großsponsoren im Block aufgekauft und nicht besetzt worden waren. Vorab hatte Locog-Chef Sebastian Coe versprochen, diese Firmen würden "benannt und beschämt" werden. Davon ist plötzlich nicht mehr die Rede.

Dem zahlenden Publikum - für die Spiele wendet das Land nach Schätzung der Stadtplanungsexperten an der London School of Economics (LSE) rund 15 Milliarden Pfund (19,1 Milliarden Euro) auf - kann es letztlich egal sein, wer für den Skandal verantwortlich war: IOC, Locog, die Sponsoren oder alle miteinander. Offenbar ist es den Briten egal. Eine frische Umfrage spiegelt die Begeisterung wider. Die Spiele seien "ihr Geld wert", sagen immerhin 55 Prozent der Briten, schließlich sei man erfolgreich vom Alltag abgelenkt worden.

Der beginnt nun wieder: Das Land steckt in der längsten Rezession seit fast 40 Jahren. Camerons Regierung wirkt ideenlos, die Einigkeit zwischen Konservativen und Liberaldemokraten scheint verbraucht. Für Rio 2016 ist nicht einmal der Fortbestand von "Team GB" garantiert. Schließlich will die Edinburgher Nationalistenregierung in zwei Jahren die Schotten über ihre Unabhängigkeit abstimmen lassen.

Der Traum

In Stratford, im Londoner Osten, wird jetzt durchgeatmet, ehe Ende des Monats die Paralympics beginnen. Nach deren Ende werden viele Sportstätten abgebaut, Olympia- und Schwimmstadion verkleinert, neue Wohnhäuser gebaut. Erst dann wird sich herausstellen, was es mit der vielbeschworenen "olympischen Hinterlassenschaft" auf sich hat. Jason Prior war für den Masterplan des Geländes verantwortlich und träumte von einem neuen Zen trum für die "polyzentrische Stadt London". Er träumt immer noch. (Sebastian Borger aus London /DER STANDARD, 13.8.2012)