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Guor Marial tritt im Marathon unter der olympischen Flagge an.

Foto: REUTERS/Neil Hall

Das Laufen hat Guor Marial gehasst. "Ich bin nur gerannt, um mein Leben zu retten", erzählt der 28-Jährige. "Ich habe mir geschworen, dass ich nie wieder laufe." Marial ist im Sudan aufgewachsen. Immer wieder zogen mordende Banden durch sein Dorf Pan de Thon. Dem 22 Jahre lang tobenden Bürgerkrieg zwischen Christen und Muslimen fielen 28 Verwandte Marials zum Opfer, allein acht seiner zehn Brüder und Schwestern wurden ermordet. Marial war als Kind schnell genug, sich in den Wäldern zu verstecken.

Am Sonntag wird Marial im Marathon starten. Weil er staatenlos ist, läuft er unter der olympischen Flagge des IOC. "Gott zeigt mir den Weg", sagt er. "Er hilft anderen durch meine Geschichte."

Und diese ist unglaublich: Als Achtjähriger wird er von seinen Eltern zu einem Onkel in die Hauptstadt Khartoum geschickt - in der Hoffnung auf ein sicheres Leben. Auf dem Weg dorthin wird er gekidnappt, Marial muss für Nomaden Ziege hüten. Er flieht und fällt einem sudanesischen Offizier in die Hände, der ihn als Sklaven hält. Marial gelangt erst drei Jahre nach Beginn seiner Reise nach Khartoum, dort wird er von Polizisten misshandelt, die ihm seinen Kieferknochen brechen. Via Ägypten gelingt Marial samt Onkel die Flucht in die USA. Seit 2001 hat er eine ständige Aufenthaltsgenehmigung, aber keinen Pass.

Sein Talent für den Laufsport wird in der High School in Concord, New Hampshire, entdeckt. Er bekommt ein Stipendium an der Iowa State University, beendet 2011 das Chemie-Studium und läuft nebenbei das Olympia-Limit.

Bis zuletzt war sein Start in London unklar. Marial verpasste mangels Reisepapieren die Eröffnungsfeier. Für seine Heimat Südsudan - der 2011 für unabhängig erklärte jüngste Staat der Erde - kann er nicht antreten, weil das Land kein eigenes nationales Komitee besitzt. Das Angebot, für den Sudan zu starten, lehnte er ab. "Ich würde zwei Millionen Leute entehren, die im Kampf für die Freiheit gestorben sind." (David Krutzler, DER STANDARD 11.8.2012)