Wie lange können die Leitzinsen der wichtigsten Währungen noch auf ihren derzeitigen Rekordtiefständen verharren? Die Renditen zehnjähriger Anleihen in den USA, Großbritannien und Deutschland bewegen sich allesamt um die einst undenkbare Marke von 1,5 Prozent. In Japan ist die Rendite für Zehnjahresanleihen unter 0,8 Prozent gesunken. Investoren in aller Welt sind offenbar bereit, diese außerordentlich niedrigen Zinsen zu akzeptieren, auch wenn es nicht so aussieht, als wäre damit ein Ausgleich für die zu erwartende Teuerung zu erwarten. Die Zinsen für inflationsgeschützte US-Anleihen (sogenannte TIPS, Treasury Inflation Protected Securities) sind inzwischen für bis zu 15 Jahre negativ.

In der nächsten Zeit wird sich an der Situation sicher nichts ändern. Die Zinssätze könnten tatsächlich noch weiter sinken. Längerfristig ist diese Situation aber definitiv nicht haltbar.

Es gibt drei wesentliche Faktoren, die den niedrigen Renditen von heute zugrundeliegen. Zunächst einmal wäre da die "globale Sparschwemme", ein Begriff, den der derzeitige US-Notenbankchef Ben Bernanke geprägt hat. Aus verschiedenen Gründen haben Sparer in vielen Regionen großen Einfluss gewonnen. In Deutschland und Japan muss die alternde Bevölkerung für den Ruhestand sparen. In China hält die Regierung sichere Anleihen zum Schutz vor einer künftigen Bankenkrise und als Nebenprodukt ihrer Bemühungen, den Wechselkurs stabil zu halten.

In anderen Wachstumsmärkten wird die Anhäufung von Devisenreserven von ähnlichen Motiven diktiert. Ölexportierende Länder wie Saudi-Arabien und die Vereinigten Arabischen Emirate sind bestrebt, mit dem Vermögen, das sie während der Boomjahre erzielen, Rücklagen zu bilden.

Zweitens haben die großen Zentralbanken bei ihren Bemühungen im Kampf gegen die Finanzkrise die sehr kurzfristigen Leitzinssätze nahezu auf null gesenkt, und eine klare Abkehr von dieser expansiven Geldpolitik ist nicht in Sicht. In normalen Zeiten erweist sich jegliche Bemühung einer Zentralbank, die kurzfristigen Zinsen zu lange zu niedrig zu halten, als Bumerang. Die kurzfristigen Marktzinssätze sinken zwar, aber wenn Investoren beginnen, sich der letztendlich inflationären Konsequenzen einer sehr lockeren Geldpolitik bewusst zu werden, steigen die längerfristigen Zinsen.

Das ist bisher noch nicht geschehen, da die Notenbanken sorgfältig darauf achten, ihr Mantra von der niedrigen langfristigen Inflation zu wiederholen. Die Wirkung hat ausgereicht, um die Märkte zu überzeugen, dass die geldpolitischen Impulse zurückgenommen werden, bevor sich erhebliche inflationäre Kräfte zusammenbrauen.

Allerdings hat sich unlängst ein dritter Faktor offenbart. Die Investoren sind zunehmend auf der Hut vor dem Risiko eines globalen Zusammenbruchs der Finanzmärkte, das am ehesten von Europa ausgeht, bei dem aber auch die "fiskalische Klippe" in den USA, die politische Instabilität im Nahen Osten und eine Konjunkturabschwächung in China ins Spiel kommen. Die Angst vor einem Zusammenbruch, auch wenn sie gering sein mag, erhöht unmittelbar den Aufschlag, den Sparer für Anleihen zahlen, die sie als sicher empfinden, ähnlich wie bei den steigenden Goldpreisen. Die gleichen Ängste hemmen die Investitionstätigkeit, die trotz niedriger Zinsen bei vielen Firmen gering ist. (Kenneth Rogoff, DER STANDARD; 11.8.2012)