Walter Buchebner (1929-1964) litt an Österreich.

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Thomas Kling (1957-2005) trat in die Fußstapfen der Schamanen.

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Wien - Dem einen war zumindest in Wien nicht zu helfen. "du hast so etwas gewisses wien / das mich reizt / das mir alpdruck macht die ganze nacht", dichtete der ehemalige Monteur und spätere Bücherei-Angestellte Walter Buchebner 1962. Da schmerzten ihn bereits die Nieren.

Buchebner, der gebürtige Mürzzuschlager, fühlt sich im Wien der Wirtschaftswunderzeit, im Milieu der verlogenen Prasser, als der einsamste Mensch von der Welt. Er schreibt, weitgehend unbeachtet, trostlos schöne Langgedichte von hoher rhythmischer Eingängigkeit. Er sucht verzweifelt nach Anschlussstellen für sich: in der von Nazis und Ständestaat weggeräumten Weltliteratur der Moderne. Walter Buchebner (1929-1964) wird zweimal fündig: Paris wird ihm zum Sehnsuchtsort, an dem er, von einer langjährigen Nierenkrankheit zermürbt, seinem Leben auch ein Ende setzt.

Buchebners zweite Inspirationsquelle ist, wie man in dem wunderbaren Sammelband ich die eule von wien nachlesen kann, weitaus verblüffender. Der Dichter, lose verankert in dem Literatenzirkel um den Wien-Heimkehrer Hermann Hakel, verehrt den US-Beat-Poeten Allen Ginsberg. Ihm denkt er die Rolle des Erlösers zu: "ginsberg wo bleibst du? nimm auf dein joch und komm über die hellblaue kette der appalachen ...", fleht dieser Orpheus aus der Obersteiermark sein Idol im fernen New Jersey an. Ginsberg soll nach Europa herüberkommen und die Ketten der Wohlstandsgesellschaft zerbrechen helfen.

Das gleichnamige Gedicht (ginsberg wo bleibst du?) gehört zu den bewegendsten Zeugnissen von Buchebners Rast- und Ruhelosigkeit. Der Autor gibt poetisch zu Protokoll, "an der atlantischen küste" zu stehen ("wo mag dein u-boot auftauchen aus der flut?"). Zugleich beneidet er den homosexuellen Priester der US-amerikanischen Gegenkultur um dessen Erfahrungsschätze, die Ginsberg scheinbar wie von selbst in den Schoß gefallen sind. "du hast apollinaire besucht eisenhower gesehen den jazz im birdland gehört", zählt Buchebner atemlos begierig auf.

Die Kleinschreibung und der Verzicht auf jegliche Satzzeichen verbürgen dem "Ginsberg über dem Gänsehäufel" (Germanist Wendelin Schmidt-Dengler über Buchebner) die Zugehörigkeit zur Avantgarde. Zu Hause bekommt der Wiener weitaus weniger Reizvolles zu Gesicht. Im Hawelka versitzt er zwar wie so viele andere Generationsgenossen ganze Abende und Nächte.

In den "stauberfüllten straßen" der Donaumetropole meint er Menschen zu sehen, die "zu gehirnlosen vielfraßen dressiert" sind. Buchebner wittert " fetten selbstbetrug". Er schlägt sich mit den Zeugnissen einer sozialpartnerschaftlichen Lebenswelt herum, die auf die Jungen zunehmend niederschmetternd wirkt.

Trost der Zusammenschau

Buchebner blieb sein kurzes Leben lang ein Neinsager. In einigen seiner besten Verse - es gibt auch eine Menge weniger zwingende - gelingt ihm so etwas wie der Zusammenschluss von Tagespolemik und hohem Weltverneinungston. An Walter Buchebner sollte man sich schleunigst erinnern. Der von Daniela Strigl mustergültig edierte Band mit Gedichten, Prosa und Tagebuchauszügen liegt, nunmehr bereits in zweiter Auflage, in der Wiener Edition Atelier vor: ich die eule von wien.

Ein Neinsager war auch Thomas Kling. Der ebenfalls viel zu jung verstorbene Poet (1957-2005) stammte aus dem Rheinland: der Gegend um Bingen, aus deren Sprachwurzelgrund einst Stefan George entspross. Wo aber Buchebner die Flamme des Aufruhrs in Pessimismus erstickte, da erhob der nachmalige Düsseldorfer (und exquisite Wien-Kenner) die Stimme erst.

Kling gehörte zu den raren Sängerdichtern, in deren zu Performances erweiterten Lesungen das Ungezügelte, Schamanische scharf aufblitzte. Dieser Autor definierte die "dichterische Sprache als Wahrnehmungsinstrument". Das nachgelassene Brevier-Buch Das brennende Archiv (Suhrkamp) mit Gedichten, Bildern und Interview-Zeugnissen ist eine Einladung, Kling nachzulesen.   (Ronald Pohl, DER STANDARD, 11./12..8.2012)