Deutschlands legendärer Altkanzler Helmut Schmidt hat in seinem TV-Auftritt bei Sandra Maischberger den europäischen Krisenmanagern die Leviten gelesen und mangelnde Entschlusskraft vorgeworfen. Auch wenn Schmidt es nicht aussprach, schwang doch die Botschaft mit: In meiner Zeit war das ganz anders, und ich würde es heute auch viel besser machen.
Schmidt war von 1974 bis 1982 tatsächlich ein ausgezeichneter Bundeskanzler, der sein Land sicher durch schwierige politische und wirtschaftliche Zeiten führte; selbst die jüngste Enthüllung, dass er bei der Entführung der "Landshut"-Maschine auch den Tod von Geiseln in Kauf genommen hätte, zeigen ihn als entschlossene, präzise kalkulierende Führungspersönlichkeit.
Aber einen Bereich hat Schmidt nie wirklich beherrscht: die Währungspolitik. 1972 wurde er Finanzminister, als gerade das Wechselkurssystem von Bretton Woods zusammenbrach. Die Antwort der Europäer war die sogenannte Währungsschlange, ein informelles System zur Stabilisierung der europäischen Währungen.
So sehr die Europäer auch schwankende Wechselkurse fürchteten, konnte das Modell dennoch nicht funktionieren, weil Deutschland, Frankreich und Italien als Reaktion auf die Ölkrise, die 1973 einsetzte, eine ganz andere Wirtschaftspolitik verfolgten: Deutschland setzte auf Preisstabilität, die anderen auf die Bekämpfung der Arbeitslosigkeit durch Deficit-Spending.
Von einer Koordinierung der Budgetpolitik war damals in Europa noch viel weniger zu spüren als heute.
1979 ergriffen Schmidt und der französische Staatspräsident Valery Giscard d'Estaing die Initiative und errichteten das Europäische Währungssystem (EWS), den Vorläufer der Währungsunion. Die Kurse von D-Mark, Franc, Lira und anderen Währungen sollten in einem engen Band (2,25 Prozent auf- und abwärts) gehalten werden.
Doch auch das EWS war trotz allen institutionellen Beiwerks nicht in der Lage, die Wechselkurse stabil zu halten, weil die wirtschaftspolitischen Philosophien weiterhin auseinanderliefen. Immer wieder kam es zu einer Änderung der Wechselkurse, mussten Franzosen und Italiener abwerten. Nur die Österreicher und Niederländer hielten sich fest an die D-Mark, indem sie völlig auf währungspolitische Autonomie verzichteten und dem "deutschen Diktat" folgten.
Als 1981 in Frankreich der Sozialist Francois Mitterrand die Präsidentenwahl gewann, verschärften sich die Spannungen. Mitterrands expansive Schuldenpolitik zur Ankurbelung der Wirtschaft brachte den Franc unter Druck und löste eine ganze Serie von Abwertungen aus. Als Schmidt 1982 aus dem Amt schied, war die Europäische Gemeinschaft von stabilen Wechselkursen so weit entfernt wie je. Auf dieser Ebene war Schmidt gescheitert.
Erst 1984 kam die Wende: Frankreich stand vor der Wahl, den EWS zu verlassen und damit auch die EG zu zerstören. Stattdessen entschied sich die Regierung Mitterrand für eine wirtschaftspolitische Kehrtwende in Richtung deutscher Sparpolitik. Erst dann begann die Phase stabiler Wechselkurse, die schließlich in den Euro mündete.
Auch in der Koordination der Weltwirtschaft war Schmidt wenig erfolgreich: Die US-Regierung unter Jimmy Carter forderte von Deutschland mehr Anstrengungen, um die eigene Nachfrage und damit die Weltkonjunktur in Schwung zu bringen.
Kaum gab Schmidt dem Drängen nach und spielte Lokomotive, stieg die Inflation im eigenen Land, was ihn und die Deutsche Bundesbank scharf auf die Bremse steigen ließ. Anfang der 80er Jahre waren die großen Industriestaaten genauso zerstritten wie heute. Da halfen auch die neuen G-7-Gipfel nicht, die Schmidt und Giscard d'Estaing 1975 eingeführt hatten.
Nur in Deutschland selbst war Schmidts Wirtschaftspolitik zumindest zeitweise sehr erfolgreich. Die größte Industrienation Europas überstand die zweite Ölkrise viel besser als ihre Nachbarn und erzielte einen Exporterfolg nach dem anderen.
Die Probleme sind heute nicht viel anders, nur noch etwas schärfer, und die Positionen der einzelnen Staaten sind verblüffend ähnlich. Und auch die handelnden Personen waren damals und heute nicht so viel anders: Ob Schmidt oder Merkel, Mitterrand oder Hollande, Obama oder Carter - die Unterschiede sind gar nicht so groß.
Was man daraus schließen kann: Die Eurokrise wird doch nicht so sehr durch das Versagen der Entscheidungsträger verschuldet, wie es viele behaupten, auch Schmidt. Es liegt an den Sachthemen selbst, deren Komplexität selbst die Fähigkeit der besten Politiker übersteigt. (Eric Frey, derStandard.at, 8.8.2012)