Moskau - Es ist noch hell, als Wjatscheslaw Iwankow an einem Sommerabend 2009 aus dem Restaurant "Thailändischer Elefant" im Norden Moskaus tritt. "Japontschik" ("Japanerchen"), so sein Spitzname in der Unterwelt, hat gerade ein Treffen mit einem anderen Mafiaboss hinter sich und will ein bisschen frische Luft schnappen. Plötzlich fallen Schüsse. Iwankow wird von mehreren Kugeln in den Bauch getroffen. Wie sich später herausstellt, haben gleich zwei Scharfschützen auf die Unterweltgröße angelegt.

Zwei Monate ringt Japontschik mit dem Tod, bewacht von eigenen Bodyguards und russischen Geheimagenten. Doch am Ende erliegt er seinen Verletzungen. Beerdigt wird er auf dem Moskauer Prominentenfriedhof Wagankowski im Beisein von Popstars und bis zu 500 Mafia-Größen. Ein Großaufgebot der Miliz soll eine Auseinandersetzung zwischen den Trauergästen verhindern.

Die Ermordung Japontschiks vor drei Jahren demonstriert die Härte, mit der die Mafia-Clans in Russland bis heute um Einflusssphären kämpfen. Eine einheitliche Russenmafia gibt es dabei nicht. Einschätzungen der Sicherheitsorgane nach gibt es über 100 rivalisierende Gruppen im Land, die sich nach ethnischen und regionalen Aspekten aufteilen, oder nach der Art ihrer Geschäfte.

Aufteilung der Reichtümer

Der Aufstieg der Mafia reicht in die Endphase der Sowjetunion zurück: Zunächst mit Schutzgelderpressung von Unternehmern, später auch mit der Übernahme ganzer Wirtschaftsbereiche. Speziell bei der Aufteilung der Rohstoffsektors sollen verschiedene Clans ihre Finger im Spiel gehabt haben. Im Öl- und mehr noch im Aluminiumsektor wurden blutige Kämpfe ausgetragen. Bis heute sollen Mafiabosse Anteile an großen Konzernen besitzen.

Bis vor ein paar Jahren gehörte auch Wladimir Kumarin zu den Großen der Szene. In St. Petersburg kontrollierte er das Tankstellennetz, Banken und Immobilienfirmen. Inoffiziell galt der Geschäftsmann als Chef der sogenannten Tambowskaja-Mafia, die durch Schutzgelderpressung, Auftragsmorde und Förderung von Prostitution und Glücksspiel St. Petersburg in die "kriminelle Hauptstadt" Russlands verwandelt hatte.

Kumarin, der sich bester Kontakte mit der Politik rühmte, den einstigen Patriarchen Alexej persönlich kannte und geprahlt haben soll, im Kreml ein und aus zu gehen, wurde seine Gier zum Verhängnis. Ein russisches Gericht verurteilte ihn 2009 wegen Betrugs zu 14 Jahren Haft.

Der Prozess sollte das Vorgehen des Staates gegen die organisierte Kriminalität beweisen. Tatsächlich ist der Einfluss einiger bekannter Mafia-Clans wie der Tambowskaja-, Solnzewskaja- oder der Ismailowskaja-Gruppe inzwischen zurückgegangen.

Die organisierte Kriminalität ist damit nicht vorbei. Oft halten Beamte der Sicherheitsorgane selbst ihre schützende Hand über die Unterwelt: Bestes Beispiel ist der Kasino-Skandal im Gebiet Moskau, als 2011 bekannt wurde, dass 80 Prozent der Einnahmen aus dem illegalen Glücksspiel an hohe Vertreter der Staatsanwaltschaft flossen. (André Ballin, DER STANDARD, 8.8.2012)