"In der Astronomie gibt es gewiss noch einen großen Aufholbedarf für Frauen", sagt Lisa Kaltenegger, selbst eine gefragte Expertin für extrasolare Planeten.

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In ein anderes Land gehen: Das bezeichnet Lisa Kaltenegger als den wichtigsten Schritt in ihrer Karriere. Heute pendelt die 35-jährige, mehrfach ausgezeichnete Österreicherin zwischen Heidelberg und Harvard. Am Max-Planck-Institut für Astronomie leitet sie neun Monate im Jahr ein siebenköpfiges Forscherteam, an der Top-Uni in Boston forscht und unterrichtet sie den Rest des Jahres. Schon während des Studiums zog es Kaltenegger in die Ferne, und zwar nicht nur, was Auslandsaufenthalte betrifft: Sie hat sich der Suche nach außerirdischem Leben verschrieben. Die umtriebige Wissenschafterin ist eine der weltweit renommiertesten Expertinnen auf diesem Gebiet.

STANDARD: Wie viele Exoplaneten haben Sie und Ihre Mitarbeiter schon in den Tiefen des Weltalls aufgespürt?

Kaltenegger: Wir selbst noch keine. Meine Arbeitsgruppe und ich untersuchen bereits entdeckte Planeten daraufhin, ob sie potenziell Leben beherbergen oder lebensfreundlich sein könnten und welche Spuren es davon in der Atmosphäre gäbe. Solche, die wir dann mit Teleskopen der nächsten Generation, wie zum Beispiel dem James-Webb-Teleskop, dem Nachfolger von Hubble, aufspüren könnten. Woran wir ebenfalls arbeiten, ist eine Art Referenz-Datenbank von Licht-Fingerabdrücken für grundsätzlich lebensfreundliche Planeten versus solchen, die keine Lebensformen beherbergen können.

STANDARD: Wie kommt so ein Licht-Fingerabdruck zustande?

Kaltenegger: Die Anwesenheit von Leben hinterlässt charakteristische Spuren in der Zusammensetzung einer Atmosphäre. Darüber geben uns die Spektren des Lichts Auskunft. Gleichzeitiges Auftreten von Sauerstoff und Methan wäre ein Hinweis. In der Vielfalt der bereits entdeckten Exoplaneten könnten sich die Spuren allerdings wesentlich von denen unserer Erde unterscheiden. Etwas näher an einem Stern zum Beispiel gäbe es auf einem erdähnlichen Planeten mehr Wasserdampf und weniger CO2, weil das Kohlendioxid effektiver aus der Atmosphäre ausgewaschen würde.

STANDARD: Exoplaneten werden erst seit knapp zwei Jahrzehnten entdeckt und versetzen seitdem die Astronomie in Spannung, aber ihre Existenz lag doch eigentlich auf der Hand, oder?

Kaltenegger: Vor 1995 war die Frage, ob es solche Planeten gibt, ein schönes Thema, welches man gut bei einer Flasche Rotwein diskutieren konnte. Schon die alten Griechen philosophierten darüber. Doch erst seit der Entdeckung von 51 Pegasi b, dem ersten nachgewiesenen Planeten außerhalb unseres Sonnensystems, gibt es messbare Daten, die es erlauben, Exoplaneten zu charakterisieren. Davor war alles Spekulation.

STANDARD: Mit welchen Methoden gelingt es Wissenschaftern, die meist viele Lichtjahre entfernten Exoplaneten ausfindig zu machen?

Kaltenegger: Es gibt mehrere Möglichkeiten, wovon zwei im Moment führend sind. Eins: die Messung der Doppler-Verschiebung des Sternenlichts. Diese kommt zustande, weil ein Stern durch die Masse eines ihn umkreisenden Planeten zu Ausgleichsbewegungen gebracht wird. Dieses geringfügige Wackeln verändert über den Doppler-Effekt die Wellenlängen des vom Stern ausgestrahlten Lichts, und das können wir messen. Die zweite Methode ist die Transitmethode. Wenn sich ein Planet in die Sichtlinie zwischen uns und seinen Stern schiebt und dabei einen Teil dessen heißer Oberfläche abdeckt, dann wird der Stern kurzzeitig etwas abgedunkelt. Auch das können wir von der Erde aus beobachten. Mit diesen Methoden hat man bereits rund 780 Exoplaneten gefunden. Das Kepler-Teleskop hat zudem weitere 2300 Kandidaten identifiziert, die noch genau vermessen werden müssen.

STANDARD: Welche Sorten von Exoplaneten sind bisher bekannt?

Kaltenegger: Es gibt heiße, Jupiter-ähnliche Gasplaneten und "Mini-Neptune", die ebenfalls aus Gas bestehen und noch kleiner sind als Neptun, der kleinste Gasplanet unseres Sonnensystems, sowie "Super-Erden", Felsplaneten mit einer bis zu zehnmal größeren Masse als die Erde. Deren Schwerkraft kann vermutlich bis zu doppelt so groß sein. Gerade jetzt sind wir dabei, auch erdähnliche Planeten und sogar schon marsgroße Exemplare zu entdecken.

STANDARD: Und kann man bei solchen Himmelskörpern bereits Hinweise für die Existenz von Lebensformen finden?

Kaltenegger: Noch nicht. Bis jetzt liefern die Messungen Daten über die Masse und den Radius, und daraus wird die mittlere Dichte berechnet, was uns den Unterschied zwischen Fels- und Gasplaneten erkennen lässt. Eine Venus und eine Erde kann man dadurch aber nicht unterscheiden. Dafür benötigen wir einen Blick in die Atmosphäre der Planeten, was wie gesagt der Forschungsschwerpunkt meiner Arbeitsgruppe ist.

STANDARD: Wie groß schätzen Sie die Chance ein, dass es tatsächlich eine "zweite Erde" geben könnte?

Kaltenegger: Die Kepler-Mission zeigt uns gerade, dass an die 40 Prozent der sonnenähnlichen Sterne Planeten um sich kreisen haben, mit einer viel höheren Anzahl kleiner Planeten als großer. Deshalb ist für mich persönlich die Wahrscheinlichkeit für die Existenz eines zweiten Planeten wie die Erde hoch. Aber: Ob es dort Leben geben könnte, ist eine komplett offene Frage.

STANDARD: Die Astronomie gilt noch immer als ein von Männern dominierter Wissenschaftsbereich. Wie schnell holen Frauen in Ihrem Fachgebiet auf?

Kaltenegger: In dieser Domäne gibt es gewiss noch einen großen Aufholbedarf. Ich bin bei einer EU-Kampagne als eine von 27 EU-weiten Rollenmodellen involviert. Es geht darum, jungen Mädchen zu zeigen, dass Wissenschaft nicht nur eine Männerdomäne ist. (Kurt de Swaaf, DER STANDARD, 8.8.2012)