Die Kravica-Wasserfälle in Bosnien (siehe Karte): Wird die Wasserkraft weiter ausgebaut, sind solche Naturparadiese in Gefahr, warnen Umweltschützer.

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Zagreb/Wien - Ulrich Eichelmann greift gelegentlich zu drastischen Metaphern, das bringt sein Job als Umweltschützer wohl mit sich. Ein "Staudamm-Tsunami" drohe dem Balkan, sagt er: "Derzeit ist alles an Dämmen geplant, was technisch möglich ist." Eichelmann arbeitet für ECA-Watch Österreich, eine Umweltschutzorganisation, die sich mit Wasserkraftwerken beschäftigt, vor allem solchen, die auf dem Balkan entstehen sollen. 573 neue sollen in der Region in den kommenden Jahren gebaut werden - und das, findet Eichelmann, gilt es zu verhindern.

Um zu beweisen, wie wichtig das ist, hat er eine Studie angefertigt, eine "hydromorphologische Bewertung," sagen Wissenschafter dazu. Über mehrere Jahre haben er und seine Mitarbeiter, unterstützt vom WWF, Daten zusammengetragen über mehr als 34.000 Flusskilometer, wie schnell sie fließen, wie sauber sie sind und ob ihre Ufer verbaut wurden. Ihr Ergebnis: Nirgends in Europa gibt es noch so ursprüngliche Flüsse wie auf dem Balkan.

69 endemische Fischarten

30 Prozent sind hier noch fast völlig unberührt, in Albanien und Montenegro sind es sogar 60 Prozent. Zum Vergleich: Österreich bringt es gerade auf sechs Prozent, in Deutschland sind es zehn. Hinzu kommt der beachtliche Tierreichtum der Gegend: 69 endemische Fischarten sollen hier leben, dazu kommen Krebse, Muscheln und Vögel.

Derzeit gilt Eichelmanns Hauptinteresse der Save: Zwölf Dämme sollen hier entstehen. Im Landwirtschaftsministerium in Zagreb winkt man ab. Bisher gebe es nur Studien, aber noch kein Geld und keine konkreten Pläne. Im Wirtschaftsministerium betont man, dass man ein ähnliches Modell wie Österreich anstrebe: Laut der kroatischen Energiestrategie sollen 2020 35 Prozent des Stromverbrauchs aus erneuerbaren Energiequellen wie der Wasserkraft kommen. Zurzeit verhandle man mit Slowenien über gemeinsame Wasserkraftprojekte an Drau und Save. "Es ist geplant, dass die neuen Wasserkraftwerke an der Save 23 Prozent der in Zagreb benötigten Elektrizität liefern sollen", so Ana Perica vom Wirtschaftsministerium.

Zerfall des Energiemarktes

Bis 2020 sollen 100 Megawatt aus kleinen Wasserkraftwerken kommen, 300 Megawatt aus Großkraftwerken. Dabei müssen alle EU-Umweltauflegen eingehalten werden - Kroatien tritt in einem Jahr der Union bei. Das Land will sich stärker von der Abhängigkeit von Energieimporten befreien - bisher müssen 30 Prozent des Stroms eingeführt werden. Der Energiemarkt ist vor allem durch den Zerfall Jugoslawiens noch in einigen Staaten Südosteuropas erst im Aufbau begriffen.

Während man in Südosteuropa seit langem nach Investoren sucht, warnen Umweltschützer wie Eichemann nun vor dem Ende von Naturparadiesen. Weil durch die Stauung kein Sand und keine Steine mehr aus dem oberen Lauf der Save hinuntergespült würden, grabe sich der Fluss immer tiefer in sein Bett, der Grundwasserspiegel sinke, die Feuchtwiesen, jetzt Lebensgrundlage der meisten Tiere dort, würden trockengelegt.

Letztes Refugium für Huchen

Die Flüsse des nördlichen Balkans gelten zudem als eines der letzten Rückzugsgebiete des Huchen. Manche der riesigen Forellen werden bis zu 1,2 Meter lang, "Donaulachse" nennen viele Angler sie. In der Donau ist er auch wegen der Kraftwerke selten geworden. Sollten die Pläne auf dem Balkan umgesetzt werden, könnte er endgültig verschwinden.

Die Nutzung der Wasserkraft zur Energiegewinnung ist allerdings auch einer der wenigen Zukunftsmärkte für Staaten wie Bosnien-Herzegowina oder den Kosovo. Bosnien könnte mit seinen reichen Wasserressourcen sogar zum Stromexporteur für die gesamte Region werden. Bisher wurden freilich manche Investoren von bürokratischen Hürden abgeschreckt. Der Hohe Repräsentant der Internationalen Gemeinschaft, Valentin Inzko, betont immer wieder, dass 65 Prozent der Naturressourcen ungenutzt sind.

"Kraftwerke, aber mit Masterplan"

Ende Juni wurde immerhin ein Kleinkraftwerk, das von einer Tochter des Kärntner Energieversorgers Kelag betrieben wird, im zentralbosnischen Knezevo eröffnet. Als sinnvolles Projekt gilt auch das Kelag-Kraftwerk unweit des Klosters Decani im Kosovo, das nun gebaut werden soll. Der Kosovo braucht dringend Investitionen, um sich wirtschaftlich zu stabilisieren, und sollte sich ebenfalls von Energieimporten unabhängiger machen. Das Kraftwerk in Decani könnte zudem der kosovo-serbischen Bevölkerung in der Gegend nutzen.

Selbst Eichelmann ist klar, dass er nicht alle Dämme verhindern kann. "Es geht nicht darum, gar keine neuen Kraftwerke zu bauen", sagt er. "Aber es braucht einen Masterplan." Alle beteiligten Gruppen - Schifffahrtsvertreter, Fischer, Stromerzeuger, Umweltschützer - sollten sich an einen Tisch setzen und verhandeln. "Wir wollen auf der Grundlage unserer Untersuchungen No-go-Zonen festlegen", sagt Eichelmann. Überall dort, wo die Flüsse noch in ihrem Urzustand sind, soll auch künftig nicht gebaut werden. (Tobias Müller/Adelheid Wölfl, DER STANDARD, 7.8.2012)