Warschau - Präsident Bronislaw Komorowski hat sich für die Errichtung eines eigenen Raketenabwehrschirms in Polen ausgesprochen. Das Projekt solle die US-Pläne der Bush-Ära, die nie verwirklicht wurden, ersetzen und ein Teil der gemeinsamen geplanten NATO-Raketenabwehr in Europa sein, erklärte er in einem Interview für das Nachrichtenmagazin "Wprost".

Komorowski ist überzeugt, dass Polen in eine moderne Raketenabwehr investieren muss, weil es seiner Meinung nach sinnlos sei, große Summen für Militärtechnik auszugeben, wenn sie vor einem Angriff nicht geschützt sei. "Heute haben wir alternde Systeme, die sich immer weniger zur Verteidigung des Landes eignen", so Komorowski.

Komplementär

Der Chef des Büros für Nationale Sicherheit Stanislaw Koziej sagte gegenüber der Zeitung "Rzeczpospolita" am Montag, dass das von Komorowski vorgeschlagene System komplementär zu den Elementen des Raketenschildes sein soll, das bis 2018 Amerikaner in Polen und anderen NATO-Ländern errichten sollen. Laut Koziej werde das US-System aus dem Blickwinkel der Bedürfnisse der USA geschaffen. Es werde polnisches Territorium nur teilweise schützen, denn es sichere kein ausreichendes Niveau der Verteidigung.

Sowohl Vertreter der Koalition als auch der Opposition reagierten positiv auf die Idee Komorowskis. Laut dem Chef des parlamentarischen Verteidigungsausschusses, Stefan Niesiolowski (PO), verfügt Polen über technische Möglichkeiten, ein solches System zu schaffen. Seiner Meinung nach muss der Finanzminister jedoch prüfen, ob der Staat sich die Investition leisten kann, wie er der "Gazeta Wyborcza" erklärte.

Auch der ehemalige Vizeaußenminister in der Regierung der national-konservativen PiS (Recht und Gerechtigkeit) Witold Waszczykowski, der die erste Etappe der Verhandlungen über Errichtung der Elemente des US-Raketenschilds in Polen führte, sagte gegenüber der Zeitung, dass die Notwendigkeit des Baus eines eigenen Raketenabwehrsystems selbstverständlich sei. "Wenn in Polen und anderen Ländern ein US-NATO-System entstehen wird, dann soll es durch einen Abwehrschild mit Kurz- und Langstrecken-Raketen ergänzt sein", so Waszczykowski.

Starkes US-Engagement gefordert

Komorowski erklärte in dem Interview auch, dass Polen damals einen Fehler begangen habe, die Verhandlungen mit den USA über die Errichtung von Elementen des US-Raketenschilds hinauszuzögern. Er kritisierte damit indirekt Ministerpräsident Donald Tusk von der rechtsliberalen Regierungspartei PO (Bürgerplattform), mit der Komorowski politisch verbunden ist. Der Fehler Tusks beruhe darauf, dass er bei den Verhandlungen das politische Risiko nicht in Betracht gezogen hätte, das mit einem Wechsel im US-Präsidentenamt verbunden war.

Die Verhandlungen über Elemente des US-Raketenschildes in Polen begannen Mitte Mai 2007. Das Kabinett von Tusk forderte von den Amerikanern im Gegenzug für die Stationierung ein starkes Engagement Washingtons bei der Modernisierung der polnischen Streitkräfte. So erwartete Polen von den USA u.a. die Lieferung von Raketen sowie ein langfristiges Hilfsprogramm für die polnische Armee in Höhe von 20 Milliarden Dollar (12,60 Mrd. Euro). Laut diplomatischen Quellen war das Angebot der USA zur Modernisierung der polnischen Streitkräfte, welches die Amerikaner Anfang April 2008 unterbreiteten, für die polnische Seite nicht ausreichend, was zur Verzögerung der Verhandlungen führte. Im September 2009 hatte jedoch US-Präsident Barack Obama den Verzicht auf die von Moskau heftig kritisierten Pläne eines fix installierten US-Raketenschildes in Osteuropa erklärt. In Politik und Medien in Polen hatte die Entscheidung für Verwunderung gesorgt. Als Alternative schlug Obama damals die Entwicklung eines mobilen Antiraketensystems vor. (APA, 6.8.2012)