Klaus Dutzler, Thomas Gerhartl (Kamera) mit Eva Glawischnigs Schwester Brigitte, hinten ihre Mutter. Aufgenommen vor dem Gasthaus des Vaters, wo Eva als Kind arbeiten musste.

Foto: Stöflin/Kleine

STANDARD: Sie versetzen mit Ihren Dreharbeiten für die "Sommergespräche" Heimatorte der österreichischen Parteichefs in Aufregung?

Dutzler: Aufregung in den Heimatorten habe ich nicht wahrgenommen. Aber wahrnehmbar ist: Die Parteisekretariate sind ein bisschen aufgeregt, weil sie nicht genau wissen, was sie da erwartet. Die Pressesprecher wissen offenbar nicht, wie sie ihre Chefs briefen sollen für diesen doch anderen Zugang zu den "Sommergesprächen". Die Aufregung ist nicht direkt zu mir gedrungen, aber man hört von gewissen Unsicherheiten, was da auf den Spitzenkandidaten, die Spitzenkandidatin zukommt.

STANDARD: Dürfen sie die Kurzporträts vorher sehen, die Sie mit Thomas Gerhartl (Kamera) und Niki Triantafyllidis (Schnitt) über die Jugendzeit der Parteichefs produzierten?

Dutzler: Nein. Das würde die Chance auf einen Überraschungseffekt vergeben. Wie groß der ist, wird man sehen. Aber es wäre vom ORF journalistisch grob fahrlässig, würden die Filme vorher gezeigt.

STANDARD: Und was kommt da auf die Parteichefs zu - soweit man das schon verraten kann? Kann man vom Verhalten in der Sandkiste auf den späteren Politiker schließen?

Dutzler: Die Kindheit war bei den amtierenden Parteichefs vielleicht nicht so früh politisch wie bei Alfred Gusenbauer, der ja schon in der Sandkiste gewusst hat, dass er Bundeskanzler werden will. In unseren Porträts geht es primär um die Gymnasialzeit, die Oberstufe, wo Politik schon wahrgenommen wurde. Ich glaube, es sagt viel über einen späteren Politiker aus, welche Themen ihn oder sie als jungen Menschen beschäftigt haben. Worüber er oder sie gestritten haben, ob ihn Politik interessiert hat, ob er nach seiner Schulzeit die Welt bereist hat oder direkt in den Parteiapparat gegangen ist und nie aus dieser Welt hinausgeblickt hat. 

STANDARD: Haben sie womöglich in den Jugendtagen die dunkle Seite der Macht wahrgenommen?

Dutzler: So würde ich das jetzt nicht formulieren. Aber natürlich sind das nicht lauter reine Lichtgestalten auf dem Weg zum großartigen Politiker. Heutige Schwächen hatten sie teilweise schon in der Jugendzeit. Es zeigen sich Kontinuitäten vom Schüler bis zum Politiker. Insofern ist der Zugang relevant.

STANDARD: Gehen solche Jugendporträts nicht stark ins Private?

Dutzler: Nein. Da geht es nicht um Familiengeschichten, frühe Freundinnen oder Hoppalas. Es geht um weitgehend politische Prägungen oder zentrale Themen der Jugend. Politikerbiografien von Obama bis Churchill widmen sich sehr intensiv dieser Phase, aus der man viel erkennen kann, warum jemand so geworden ist. Es geht nicht darum, ob jemand mit der Steinschleuder Bandenkriege geführt hat ...

STANDARD: ... oder Paintball ...

Dutzler: ... ein schlechter Vergleich, okay.

STANDARD: Ist bei allen fünf eine politische Betätigung, ein Interesse in der Gymnasialzeit wahrnehmbar?

Dutzler: Nicht bei allen fünf. Aber es wird deutlich, dass Politik jemanden früh interessieren muss, um später Spitzenpolitiker zu werden. Bei einigen war schon Parteipolitik ein Thema, bei anderen Gesellschaftspolitik, die Funktion als Klassensprecher. Das ist ein roter Faden. Es gibt aber durchaus Spitzenrepräsentanten, die mit Politik wenig am Hut hatten.

STANDARD: Wie BZÖ-Chef Josef Bucher.

Dutzler: Ein Hotelierssohn, der nicht so direkt in der Nähe der Politik daheim war. Er ist sehr spät mit Politik im engeren Sinn konfrontiert worden.

STANDARD: In Kärnten wird das wohl Jörg Haider gewesen sein.

Dutzler: Genau. Das war sicher bei Bucher die politische Initialzündung.

STANDARD: Mit dieser Initialzuündung dürfte es nun auch einiges aufzuarbeiten geben.

Dutzler: Das "Sommergespräch" mit Bucher ist natürlich spannender geworfen, als es noch vor zwei Monaten schien. Er ist durch Jörg Haider in die Politik gekommen, war Teil des Kärntner Systems und kennt alle Protagonisten gut, die jetzt mediale Hochkonjunktur haben.

STANDARD: Für frühe parteipolitische Sozialisierung dürften Werner Faymann (SPÖ) und Michael Spindelegger (ÖVP) stehen.

Dutzler: Durchaus. Natürlich war der Bundeskanzler sehr bald in der Nähe seiner Partei. Beim Vizekanzler war's eher das Familiäre; der Vater war Politiker und hat den jungen Michael Spindelegger sicher sehr geprägt und die Perspektive Berufspolitik aufgezeigt. Er war aber in der Schule nie derart politisch aktiv wie Werner Faymann.

STANDARD: Geht es nur um vorberufliche Politik? Bei Spindelegger fällt einem etwa der wohl prägende Verteidigungsminister Robert Lichal ein, dessen Pressemann er war.

Dutzler: Das Ministerbüro spielt bei Spindelegger noch eine Rolle, damit endet mein Porträt. Eva Glawischnig lernt mit knapp 20 bei einer Demo in der Steiermark erstmals Grünpolitiker kennen. Da endet meine Betrachtung. Bei Werner Faymann ist es sein Einstieg in den Wiener Gemeinderat mit 25. Bei Bucher später, weil er erst spät von Haider in die Politik geholt wurde. Heinz-Christian Strache ist relevant, bis er, relativ früh mit Anfang 20, für die FPÖ in den Wiener Gemeinderat einzieht.

STANDARD: Was bezwecken Sie und Armin Wolf, der die "Sommergespräche" führt, mit diesem Jugendzugang?

Dutzler: Die Idee hatte Armin Wolf, der keine "Sommergespräche" als "Pressestunde" in anderem Ambiente führen wollte. Der Hintergedanke war: Wie kann man die rhetorisch und von ihren Betreuern übertrainierten Politiker in Richtung eines echten Gesprächs lenken, indem man Themen anschneidet oder umkreist, für die es in den Parteisekretariaten noch keine Textbausteine gibt. Also redet man über die politische Prägungsphase, warum man in der Politik gelandet ist, welche Themen haben einen jungen Politiker gesellschafts- oder parteipolitisch geprägt. Da kann man mehr in Richtung Gespräch kommen. Das gibt vielleicht eine Möglichkeit, dem Wähler einen ungeschönten, vielleicht ungeschliffenen, noch nicht übertrainierten Politiker zu zeigen. Klar ist aber natürlich, dass es Armin Wolf in den Gesprächen zum großen Teil um aktuelle Themen geht. Das Thema Jugend ist quasi zum Aufwärmen.

STANDARD: Die "Sommergespräche" finden in den Ursprungsregionen der Politiker statt, Sie haben gedreht, wo sie aufgewachsen sind.

Dutzler: Die Orte charakterisieren. Bucher im Kärntner Halbtourismusort Friesach. Glawischnigs Kärntner Idylle am Millstätter See, wo man entweder bei den traurigen Kärntnerliedsängern in Tracht landet oder bei den Grünen, um zu rebellieren gegen ein patriarchales Elternhaus. Der Vizekanzler in der noblen Hinterbrühl, ein ideales Umfeld für ÖVP-Politiker. Die Keinergasse im dritten Wiener Bezirk ist kein schlechtes Ambiente für künftige FPÖ-Obleute. Und Liesing ist jene Art Sozialdemokratie, die Werner Faymann verkörpert. (Harald Fidler, DER STANDARD, Online-Langfassung, 7.8.2012)