Thurston Moore (re.) in der kontrollierten Wildheit des mittleren Alters. 

Foto: Standard/Robert Newald

Eine Saite hat das nicht überlebt.

Wien - Wie ein Dichterfürst stand er auf der Bühne. Er erzählte Anekdoten, während er auf einem hölzernen Notenständer Textblätter sortierte. Was bei keiner (szenischen) Lesung seltsam wirken würde, beim Punkrock erscheint derlei kapriziöses Gewese doch ein wenig befremdlich.

Der falsche Dichterfürst heißt Thurston Moore, war beziehungsweise ist als Gitarrist der New Yorker Band Sonic Youth weltberühmt und gastierte am Wochenende unter eigenem Namen mit der Band Chelsea Light Moving erstmals in Österreich - und konnte seine Texte scheinbar nicht auswendig. Wären diese besonders komplex und umfangreich, okay, dann könnte man das mit dem Pult nachvollziehen, doch Moores Lyrik findet am weißen Außenrand jedes anständigen Bierdeckels ihren Platz.

Auch bei Michael Gira von den Swans sah man zuletzt ein solches Ungetüm auf der Bühne. Auch ein Witz. Aber bitte, das ist nur eine Beobachtung. Das Alter macht natürlich auch vor früheren Bilderstürmern nicht halt, und fürs Auswendiglernen war der Lebenswandel bei so manchen scheint's zu wild.

Doch selbst diese Marginalie beiseitegelassen, war das Konzert von Thurston Moore im Wiener Stadtsaal ein wenig seltsam. Vielleicht lag es an der Aura des Kabaretts, die der Saal verströmt - oder schlicht daran, dass das Publikum wegen dieser Primärwidmung der Räumlichkeit sitzen musste. Zumindest im Parkett, auf dem Balkon durfte gestanden werden. Da saß man also und schaute Lärmrock wie einen Film im Kino.

Wobei die Diagnose Lärmrock sich erst langsam rechtfertigte. Denn Moores letztes Soloalbum, Demolished Thoughts, ist von der akustischen Gitarre durchzogen. Diese fand also auch hier Einsatz: als Elfsaitige, nachdem Moore sich einer Saite gewaltsam entledigt hatte.

Doch federführend in den Songs der ersten Konzerthälfte war eher die von Samara Lubelski gespielte Geige. Sie versorgte die Lieder mit einer eigenen Atmosphäre, verlieh ihnen einen zart folkistischen Anstrich und ihre Emotionalität.

Ecstatic Peace - ekstatischer Friede -, so heißt das Label, das der 54-jährige New Yorker betreibt, und es beschreibt zudem treffend seine Musik. Wobei die Ekstase mit der nicht sehr ekstatischen Band und vorsitzendem Publikum ihre darstellerischen Mängel aufwies. Da klang alles ein wenig nach einer ermatteten Version seiner Stammband, die, nach der Scheidung von Moores Frau, der Sonic-Youth-Bassistin Kim Gordon, zurzeit auf Eis liegt.

Tote Hippies in New York

Aber dann kam der Song Burroughs und gab zum ersten Mal an diesem Abend eine Ahnung davon, dass in Chelsea Light Moving doch mehr stecken könnte als bloß höfliche Vollzugsbeamte.

Songs wie das zwei ermordeten Hippies von der Lower East Side zugedachte Groovie & Linda, Frank O'Hara - dem lebenden Hippie Roky Erickson gewidmet - sowie das Bob Dylan und Mick Jagger zusammenführende Empire Of Time ließen sogar daran denken, sich zusprüchlich und gepflogenheitswidrig aus dem Sitz zu erheben - was aber dann von dem von Moore auf die Bühne gebetenen Saxofonisten Mats Gustafsson vereitelt wurde.

Dann bitte doch lieber ekstatischen Frieden anstatt hysterischem Expressionismus. (Karl Fluch, DER STANDARD, 6.8.2012)