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José Dirceu (Mi.), Vertrauter von Ex-Präsident Lula da Silva (li.), gilt als Schlüsselfigur. Rechts Präsidentin Dilma Rousseff.

Foto: REUTERS/Ueslei Marcelino

Brasília/Puebla - Rund 500 Journalisten drängten sich zum Prozessauftakt am Donnerstag vor dem Verhandlungssaal des Obersten Bundesgerichtes in Brasília. Der Medienkonzern O'Globo legte eine Liveschaltung aus dem Gerichtssaal. Doch was übertragen wurde, war eher fad: Staatsanwälte, Richter und Anwälte, zwischen Aktenbergen kaum zu erkennen, debattierten langatmig über Zuständigkeits- und Formfragen.

Worum es im "Strafprozess Nr. 470", besser bekannt als "mensalão", "das Supertaschengeld", im Grunde geht, ist rasch erklärt. Losgetreten hat den Skandal im Juni 2005 der Abgeordnete Roberto Jefferson von der Zentrumspartei PTB, ein Koalitionspartner der regierenden linken Arbeiterpartei (PT) unter Präsident Luiz Inácio Lula da Silva. Jefferson, der damals unter Korruptionsverdacht stand, enthüllte in einem Interview mit der Zeitschrift Veja, dass Abgeordnete seiner Partei, aber auch der anderen bürgerlichen Parteien PP, PL und PMDB monatlich bis zu 30.000 Reais (rund 8000 Euro) "Taschengeld" bekommen, um die Gesetzesvorschläge der Regierung durchzuwinken.

Schwarze Kassen

Die PT hatte damals keine eigene Mehrheit. Nach und nach erhärteten sich die Vorwürfe. Es kam an den Tag, wie die PT schwarze Kassen unterhielt und öffentliche Gelder abzweigte.

Der Skandal kostete zwei Minister, darunter Lulas engsten Vertrauten und Strippenzieher José Dirceu, die Posten und schädigte dauerhaft das Image der PT, die sich bis dahin als "saubere Partei" präsentiert hatte. Die gesamte Parteispitze wurde erneuert, nachdem auch der Parteivorsitzende José Genoino unter Verdacht kam.

Das Großreinemachen ebnete damals Politikern aus der zweiten Reihe den Weg, unter ihnen die aktuelle Präsidentin Dilma Rousseff. Kurzzeitig war sogar von einem Impeachment-Verfahren gegen den Präsidenten die Rede - ähnlich dem Prozess, der 1992 Präsident Collor de Mello wegen Korruption das Amt kostete. Doch wegen der großen Popularität Lulas nahm die Opposition damals davon Abstand. Ein Jahr später wurde Lula wiedergewählt.

Sieben Jahre und über 600 Zeugenvernehmungen später waren die Ermittlungen so weit gediehen, dass der Prozess eröffnet werden konnte. 38 Angeklagte - alle auf freiem Fuß - sind vorgeladen, darunter Minister, Parlamentarier, Banker und Unternehmer. Die Anklagepunkte: Geldwäsche, Unterschlagung, Bestechung und Bestechlichkeit, Betrug, illegale Devisengeschäfte, Bildung einer kriminellen Vereinigung. Das Ur teil wird Mitte September erwartet. Den Angeklagten drohen ein bis 45 Jahre Haft.

Die Staatsanwaltschaft sieht in Dirceu den Drahtzieher des Stimmenkaufschemas. Zusammen mit dem damaligen Schatzmeister der PT, Delubio Soares, habe er 101 Millionen Reais (rund 32 Mio. Euro) abgezweigt, unter anderem aus dem Werbehaushalt und mittels Scheinkrediten bei staatlichen Finanzinstitutionen. Die Bezahlung sei über befreundete Un ternehmer wie den PR-Magnaten Marcos Valerio gelaufen, der persönlich die Umschläge mit Bargeld überreicht habe - im Gegenzug für staatliche Aufträge.

Der Prozess könnte zwar die Kommunalwahlen im Oktober zuungunsten der PT beeinflussen, aber dass das Verfahren dauerhaft auf Staatschefin Rousseff negativ abfärbt, gilt als unwahrscheinlich. Zwar gehört auch sie der PT an, aber keiner der Angeklagten steht ihr nahe. Zudem schlug sie gleich zu Beginn ihrer Amtsperiode einen harten Kurs gegen die in Brasilien endemische Korruption ein. Sechs Minister wurden wegen Korruptionsvorwürfen ausgewechselt, neue Aufsichtsbehörden geschaffen.

Lulas Ambitionen gefährdet

Auf Lula hingegen, dem Ambitionen auf eine neuerliche Präsidentschaft nachgesagt werden, könnte der Prozess ein schales Licht werfen. Der angeklagte Jefferson hat bereits gedroht, Lulas Vorladung zu verlangen. "Ob der Mythos Lula Kratzer bekommt, hängt davon ab, ob und wie viele Verurteilte es geben wird", glaubt der Politologe André Pereira.

Außerdem gilt der "mensalão" als Nagelprobe für den Rechtsstaat in Brasilien, wo zwar viele Korruptionsverfahren angestrengt wer den, aber praktisch nie zu Verurteilungen führen. Entsprechend wegweisend werden die Urteile sein. Recht gelassen nimmt die brasilianische Bevölkerung den Megaprozess. "Ich bin ein armer Abgeordneter, hast du nicht ein bisschen Kleingeld für mich?", lautet der Refrain eines der Lieder, die dazu entstanden sind. (Sandra Weiss, DER STANDARD, 4./5.8.2012)