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Österreich und seine Sprachen: Ortstafelsturm in Kärnten 1972.

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Eine private Plakatkampagne gegen "Gastarbeiter"-Feindlichkeit 1973.

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Das mag jetzt manchen Patrioten empören, aber es muss gesagt werden: Eine Sprache "Österreichisch" gibt es nicht. Ja, es gibt viele österreichische Eigenheiten der deutschen Sprache, wovon manche unsere deutschen Nachbarn affig oder gar hinterfotzig finden, wie die angehängten "erls", die weniger der Verkleinerung als vielmehr der Verharmlosung eines Plauscherls oder Krügerls dienen. Und es gibt die Neigung, auch in der "Hochsprache" den Unterschied zwischen d und t oder b und p einfach unters Tischerl fallen zu lassen. Und es stimmt, dass die Sonne zwischen Boden- und Neusiedler See nur am Burgtheater stimmhaft aufgeht.

Trotzdem: Linguistisch gesehen, redet man im österreichischen Alltag meist mittel- und südbairische Dialekte oder eine entsprechende "Umgangssprache". Außer in Vorarlberg, wo alemannische Dialekte gesprochen werden. Abgesehen davon ist aber bei den Dialekten vieles im Umbruch. Vor allem in Wien und Graz schwindet der Dialekt bei den Jüngeren oder bekommt eine andere, neue Funktion.

Jammerei ist unnötig

"Kein Grund zu jammern", beruhigt der Sprachwissenschafter Manfred Glauninger: "Das hat es immer schon gegeben, die Dialektforschung ist im 18. Jahrhundert auch entstanden, weil man dachte, die Dialekte verschwinden." Die Sprache verändert sich aber nur. "Sprache, die sich nicht transformiert, wird funktionsunfähig", erklärt der Dialektspezialist, der an den Unis Wien, Graz und Salzburg lehrt und an der Akademie der Wissenschaften forscht.

"Hast g'hört, was der Kevin g'sagt hat? Das war deppert!", nennt Glauninger ein Beispiel, wo Dialekt seine Funktion verändert hat. Ein Wiener Jugendlicher, im Bewusstsein "schön zu sprechen" des Wienerischen nicht mehr mächtig, mischt mit "deppert" bewusst ein einziges Dialektwort in seinen Satz. Der Dialekt bekommt die Funktion der Andersartigkeit, des Sich-Abhebens. Auch in der Werbung, wo man früher nur Hochsprache verwendete, operiert man heute ganz bewusst mit "Dialekt"-Signalen, "weil es auffällig und entsprechend verwertbar" ist, so Glauninger. Da fallen einem spontan Politiker ein, die im Wahlkampf plötzlich Dialektelemente in ihre Reden einbauen, um besonders locker zu wirken. Manchmal wirkt das aber nur besonders peinlich.

Aber warum können etwa die jungen Wiener (und vielleicht bald auch Grazer) keinen Dialekt mehr? Glauninger, selbst ursprünglich Grazer, den es nach Wien verschlagen hat, wo er an der Urania sogar Wienerisch-"Kurse" anbietet, glaubt nicht an eine einfache Erklärung. Aber: "Wenn die Leute in meinen Kursen bedauern, dass das Wienerische ausstirbt, frage ich sie immer, ob sie mit ihren Kindern Dialekt reden. - Natürlich nicht!" In den meisten Großstädten wurde Dialekt früher oder später als "Sprache des Proletariats" stigmatisiert. Wer den sozialen Aufstieg wollte, musste auch schön reden, wie es so schön heißt.

Ganz anders sei das etwa in Linz, so Glauninger: "Wenn Sie da den Jugendlichen zuhören, merken Sie, dass die noch immer sehr stark dialektgeprägt sind." Dies habe wohl mit dem Selbstbewusstsein "eines sehr wohlhabenden Bauerntums zu tun, das man in bestimmten oberösterreichischen Regionen findet". In Oberösterreich traf man etwa auf mächtige Vierkanthöfe, während in der Steiermark sogenannte "Keischler" bescheidener hausten. Wer das nötige Kleingeld hat, hat das nötige Selbstbewusstsein, seine Sprache zu pflegen.

Überhaupt spielt Selbstbewusstsein neben der Topografie einer Gegend eine entscheidende Rolle dabei, ob sich Mundarten lange halten. Dass etwa die Vorarlberger immer noch Huus statt Haus, Lüüt statt Leute und miin statt mein sagen, also eigentlich teilweise mittelhochdeutsch plaudern, hänge nicht nur von entlegenen Regionen und dem Arlberg als Grenze ab, erklärt Glauninger, sondern auch davon, "dass die Alemannen selbstbewusst und später auch wohlhabend waren und sich nicht unbedingt anpassen mussten".

Anders war da die Situation der Burgenländer, die noch Anfang des vorigen Jahrhunderts Ungarisch als Dachsprache über all ihren Sprachen und Dialekten hatten und sich heute im Norden nach Wien und im Süden nach Graz hin orientieren.

Wäre da nicht ihre Spezialität des "singenden" Redens. Stärker noch als etwa viele Tiroler oder Steirer, die zwei Selbstlaute aneinanderhängen wie in Sea (See) oder roat bzw. rout (rot), gibt es in manchen burgenländischen Dialekten die Tendenz zu Zwielauten. Das führt zu dem Singsang, den man in ihrer Sprache zu hören glaubt.

Ein Putsch im Stall

Doch auch andere haben ihre Eigenheiten: Die Kärntner sagen "lei", was von "gleich" kommt. Die Oberösterreicher meinen "nur", wenn sie "netta" (vom kaufmännischen netto) sagen. In steirischen Ställen sucht man ein Putsch, wo man anderswo ein Schwein findet. Und im Tiroler Außerfern spricht man Alemannisch.

Grazer wohnen eigentlich im süd-mittelbairischen Übergangsgebiet. Das L in Wold (Wald) oder kolt (kalt), wie es die meisten übrigen Steirer durchaus verwenden, gibt es hier nicht. Nicht erst als kakanische Armeeangehörige aus Wien das milde Grazer Klima für ihre Pension auserkoren, wurde Grazerisch von Wienerisch beeinflusst.

In den letzten Jahren begannen Grazer Jugendliche damit, Dinge ursuper zu finden. Dabei ist "ur" etwas Urwienerisches. Nur leiwand gehört noch ziemlich exklusiv den Wienern. Es kommt übrigens von der Leinwand, weiß Manfred Glauninger: "Das war kostbares Material und deshalb positiv besetzt." Aber vielleicht fladern das ja auch noch die Kids hinter dem Semmering. (Colette M. Schmidt, DER STANDARD, 4./5.8.2012)