Schriftsteller geblieben und nicht Großorganisator geworden: Walter Grond.

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STANDARD: Herr Grond, im Zen trum Ihres neuen Romans steht Ihr Großvater, ein Triestiner Werftdirektor zur Zeit der k. u. k. Monarchie, den es in den Wirren des Ersten Weltkriegs nach Graz verschlagen hat, und schon der Titel des Buches, "Mein Tagtraum Triest", legt nahe, dass die Grenzen zwischen Fiktivem und Realem hier noch durchlässiger sind, als dies in der Literatur sui generis ohnehin der Fall ist. Trifft diese Vermutung denn zu?

Walter Grond: Ja. Das Interessante an dieser Familiengeschichte ist ja, dass sie in gewissem Sinne nur erfunden werden kann, weil es über sie praktisch keine Quellen gibt. Vielleicht komme ich nach 25 Jahren deshalb wieder darauf zurück, weil dieser Umstand sich eigentlich mit meinem gesamten literarischen Verfahren deckt - da wird ja nicht etwas nacherzählt, sondern es muss erfunden werden, und das Schreiben selbst ist dann eigentlich ein Tagtraum.

STANDARD: Dessen Bilderwelten den Leser in diesem Fall in eine Stadt führen, die es in dieser Form seit bald hundert Jahren nicht mehr gibt.

Grond: Das ist mit der Grund, warum mich diese Familiengeschichte wahrscheinlich bis zum Ende meines Schreibens begleiten wird, weil es da ja um Menschen geht, die sich mit aller Kraft an eine Vergangenheit klammern, die sie weder kennen noch rekonstruieren können. Aber je haltloser sie sich im Leben wiederfinden, desto stärker imaginieren sie sich als jemand, der da in diesem Altösterreich seinen Platz hat.

STANDARD: Und wohin führt dieses Imaginieren?

Grond: Es führt dazu, dass diese Menschen eine Leere empfinden, die sie gleichermaßen sentimental und pragmatisch macht, und diese eigentümliche Gleichzeitigkeit betrifft wohl viele, die ihren Ursprung verlassen mussten.

STANDARD: Eine Art Grundverfasstheit von Migranten?

Grond: Ja, aber nachdem ich ja in Österreich lebe, ist es eine Migrationsgeschichte, die quasi von der falschen Seite her erzählt wird, weil sie ja den herrschenden Teil der alten Welt betrifft, also jene, die eigentlich gar kein Recht empfinden, den Bruch in ihrer Geschichte zu erzählen, weil sie ja nicht klassisch Vertriebene sind, sondern aus einem Land weggegangen sind, das sich von ihnen befreit hat. Es ist auch eine Art seltsames Festhalten an einer Geschichte, die in einem gewissen Sinn gar nicht erlaubt ist.

STANDARD: Spüren Sie Reste dieses Festhaltens auch noch an sich selbst?

Grond: Ja, sehr sogar. Meine ganze Kindheit war ja voll von Geschichten über meinen Großvater, diesen jungen Maschinenbauingenieur, der zur Marine nach Triest gegangen ist. Das war ja überhaupt ein Phänomen der Monarchie, dass auch die Offiziersränge mehr und mehr mit Menschen besetzt werden mussten, die aus Sicht der Herrschenden nicht standesgemäß waren und die sich einen aufwändigen aristokratischen Lebensstil eigentlich nicht leisten konnten. Das ist wohl mit ein Grund dafür, dass dieses Österreich so besonders anfällig war für Korruption und Spionage.

STANDARD: Ungeachtet Ihres "tagträumenden" Schreibens erfährt man bei der Lektüre des Buchs viel Detailliertes über das historische Triest und nimmt an, dass Sie gründlich recherchiert haben.

Grond: Ich habe da so eine Art semiwissenschaftlichen Zugang und sammle empirisches Material in Archiven, mit dem ich dann sehr frei umgehe, um etwas deutlich zu machen, das eben außerhalb des Geordneten und Zuordenbaren liegt.

STANDARD: Würden Sie sich gegen eine Lesart des Textes als Liebeserklärung an Triest denn verwahren?

Grond: Überhaupt nicht. Das ist natürlich auch eine ganz große Liebeserklärung, aber für mich gehen Liebeserklärungen immer damit einher, dass ich die Schattenseiten dieser Beziehung, die ich auszumachen meine, miterzähle. Trotzdem ist das, ja, auch eine Beschwörung.

STANDARD: Spielt das heutige Triest in Ihrem Leben noch eine Rolle.

Grond: Ja, vor allem in der Weise, dass ich mich, wenn ich dort bin, in das alte hineinträume. Ich wollte den Roman ursprünglich auch einmal so beenden, dass dieser Ich-Erzähler, der sich da versucht als Autor zu erfinden, indem er eigentlich so etwas wie eine Selbstpsychoanalyse betreibt, am Ende des Romans dann nach Triest zieht.

STANDARD: Und wie halten Sie es persönlich mit der Psychoanalyse?

Grond: Früher habe ich mich beinahe hysterisch dagegen gewehrt, ich hatte Panik, dass mich eine Psychoanalyse am Schreiben hindern könnte. Inzwischen hat sich das geändert, auch wenn es bis zu einem gewissen Grad ja auch zutrifft.

STANDARD: Und sich wie manifestiert?

Grond: Na ja, auch wenn Karl Kraus meint, dass die Psychoanalyse jene Krankheit sei, deren Therapie zu sein sie vorgibt, so nähert man sich im Zuge eines solchen Prozesses schon ein wenig von der Position der allgemeinen Sprachskepsis in Richtung Skepsis dem Schreiben gegenüber. Ich habe das aber auch als sehr befreiend erlebt.

STANDARD: Sie sind nach langen Jahren in Graz, wo Sie zu den führenden Exponenten des "Forum Stadtpark" gezählt und 1995 die Nachfolge von Alfred Kolleritsch angetreten haben, nach einigen Turbulenzen schlussendlich in die Wachau gezogen. Haben Sie diesen Weggang je bereut?

Grond: Nie. Ich habe mit dieser Zeit völlig abgeschlossen und hab da keinen Groll. Ich habe in Graz auch viel Schönes erlebt, und inzwischen bin ich fast froh, dass es so passiert ist, weil ich dadurch noch einmal ein ganz neues, für mich spannendes Leben beginnen konnte, auch wenn es am Anfang sehr schwierig gewesen ist. Überdies bin ich dadurch Schriftsteller geblieben und nicht Großorganisator geworden.

STANDARD: Sie sind aber auch in der Wachau Organisator geblieben - aus einer Ihrer zahlreichen Initiativen sind die "Europäischen Literaturtage" hervorgegangen, die Ende September zum vierten Mal stattfinden und heuer unter dem Motto "Festung, Trauma und Traum Europa" stehen - ein ausgereiztes oder überfälliges Thema?

Grond: Bestimmt nicht ausgereizt, im Gegenteil, eigentlich ist das Motto so entstanden, dass wir im Vorjahr festgestellt haben, dass praktisch alle Autorinnen und Autoren aus den nordwestlichen, reichen Ländern Europas in der Diskussion Wert darauf gelegt haben, dass ihr Autorenleben wenig mit Europa zu tun hat, dass sie nach Amerika oder sonst wohin ausgerichtet sind. Das hat zu einiger Irritation bei den Autoren aus den südosteuropäischen Ländern geführt, für die Europa nach wie vor die Utopie schlechthin verkörpert.

STANDARD: Und was bedeutet Europa für Sie?

Grond: Ich bin ein glühender Europäer, was keineswegs bedeutet, dass ich alles gutheiße, was in Brüssel geschieht. Für mich ist Europa ein Kontinent, der von seiner Vielfältigkeit lebt und der sich auch daran entscheiden wird, wie er mit diesen vielen Sprachen umgeht, zum Beispiel auch in der Kulturförderung. Wenn ich aus hohen Kreisen der Europäischen Kommission den Satz "Cultural diversity is not linguistic diversity" höre, dann verdeutlicht das ja einmal mehr, was für ein fataler politischer Zug da im Moment im Rollen ist.

STANDARD: Kann ein konzernun abhängiges Social-Reading-Projekt wie das von Ihnen mitlancierte "readme.cc", das ja stark auf Multi lingualität setzt, diesen Zug aufhalten?

Grond: Das allein sicher nicht, aber es ist ein gutes Beispiel dafür, wohin die Reise gehen könnte. Auf die Literatur bezogen müsste das politische Europa viel, viel mehr in Übersetzungen und Kulturtransfer investieren, der ja nach wie vor im Verhältnis neun zu eins von West nach Ost und von Nord nach Süd geht, da gibt es nach wie vor einen hohen Korrekturbedarf.

STANDARD: Sie haben zur Herstellung dieser Korrektur sehr früh auf das Internet gesetzt - ein Medium, das nach wie vor von vielen "Büchermenschen" sehr skeptisch beäugt wird.

Grond: Durch diese ganze kulturkonservative Abwehrhysterie hat man da wahnsinnig viel versäumt. Große Teile des Betriebs haben bis heute nicht begriffen, dass das Virtuelle sehr viel mit unserer Realität zu tun hat, es kommt hier wie dort darauf an, was man vorgibt.

STANDARD: Also lieber E-Book als Hardcover?

Grond: Ich liebe es, auf meinem iPad ein Buch anzulesen, und wenn es mir besonders gefällt, dann bestelle ich es mir eben als Hardcover. Literarische Werke sind Texte, Punkt. Anhand der Frage nach dem Trägermedium den essenziellen Wert von Kunst zu diskutieren halte ich schlichtweg für eine Debatte von vorgestern. (Josef Bichler, Album, DER STANDARD, 4./5.8.2012)