New York/Aleppo - Die Vollversammlung der Vereinten Nationen hat das Vorgehen der syrischen Regierung im seit 17 Monaten dauernden Aufstand verurteilt und einen raschen Machtwechsel in dem arabischen Land gefordert. Zugleich kritisierte die Versammlung von 193 Staaten am Freitag in New York den UNO-Sicherheitsrat und warf ihm Untätigkeit vor. Resolutionen der Vollversammlung haben allerdings nur symbolischen Charakter und sind - anders als die des UNO-Sicherheitsrates - rechtlich nicht bindend. In Damaskus stürmten Regierungstruppen die letzte Rebellen-Hochburg und bereiteten offenbar ihre erwartete Großoffensive auf Aleppo vor.

Die Vollversammlung äußerte ihre tiefe Sorge über die Eskalation in Syrien. Sie fordert die Truppen des syrischen Machthabers Bashar al-Assad auf, sich in die Kasernen zurückzuziehen. Ein Rücktritt des umstrittenen Präsidenten wurde jedoch nicht gefordert. Zugleich bedauert die Vollversammlung, dass der Sicherheitsrat sich nicht auf Maßnahmen verständigt hat, um die syrische Regierung dazuzubewegen, die UNO-Beschlüsse einzuhalten. Resolutionen des Sicherheitsrates waren wiederholt am Veto von Russland und China gescheitert. Die Resolution der UNO-Vollversammlung geht auf einen Entwurf von Saudi-Arabien zurück. 133 Mitglieder stimmten dafür. Zwölf Länder stimmten dagegen, darunter Russland und China. 31 Länder enthielten sich.

Hausdurchsuchungen in Damaskus

In Damaskus drangen Tausende Soldaten mit Panzern und gepanzerten Fahrzeugen in den Stadtteil Tadamon ein, wie Bewohner und Oppositionelle berichteten. Bei Hausdurchsuchungen hätten sie mehrere Menschen hingerichtet. Die Angaben konnten nicht überprüft werden. Der größte Teil des Viertels sei wieder in der Gewalt der Regierungstruppen, die vor mehr als einer Woche zur Offensive angetreten waren.

In der Wirtschaftsmetropole Aleppo schien die Entscheidungsschlacht unmittelbar bevorzustehen. Die Kämpfe konzentrierten sich auf den Stadtteil Salaheddine, der als Einfallstor in das Zentrum gilt. Bei den Gefechten wurden nach Rebellenangaben in den vergangenen Tagen etwa 20 Zivilisten und 50 Aufständische getötet. Internet- und Telefonverbindungen sind seit drei Tagen unterbrochen. Dadurch wird es den Rebellen erschwert, ihre Aktionen untereinander abzusprechen. Die Bevölkerung ist in Gegner und Anhänger gespalten. Zudem gibt es Berichte über wachsende Unstimmigkeit unter den Kämpfern sowie zwischen Rebellen und Bewohnern. Die Aufständischen regelten ihre Konflikte häufig durch Entführung rivalisierender Kämpfer, berichteten Einwohner.

Die Gewalt in Aleppo könnte sich nach Einschätzung von UNO-Generalsekretär Ban Ki-moon zu Verbrechen gegen die Menschlichkeit auswachsen. Vor der Vollversammlung der Vereinten Nationen sagte Ban in New York: "Während wir uns hier treffen, ist Aleppo das Epizentrum einer schlimmen Schlacht zwischen der syrischen Regierung und denen, die sie absetzen möchten."

Russland kritisiert Resolution 

Russland hat die Resolution der UN-Vollversammlung zu Syrien scharf kritisiert. Der russische UN-Botschafter Witali Tschurkin sagte am Freitag in New York, die Vorlage sei schädlich und "verberge eine offene Unterstützung für die bewaffnete Opposition". Russland zeigte sich besorgt über die Lage in Aleppo und forderte ein sofortiges Ende des Blutvergießens. Das Außenministerium in Moskau erklärte, Waffenlieferungen aus dem Ausland liefen den internationalen Bemühungen um eine friedliche Lösung der Krise zuwider. Das gelte auch für andere Formen der Unterstützung für die Rebellen. Russland ist eine der letzten Schutzmächte Syriens und unterhält dort einen Marine-Stützpunkt am Mittelmeer. In der Vergangenheit hatte Russland erklärt, es werde Soldaten nach Syrien schicken, falls dies für den Schutz von Landsleuten oder den Abzug von Material nötig sein sollte. Nach Angaben aus Marinekreisen sind drei Kriegsschiffe mit bis zu 360 Marineinfanteristen auf dem Weg nach Syrien. Laut Verteidigungsministerium sollen sie dort aber nicht anlegen.

Derweil verstärkt der Westen seine Unterstützung für die Aufständischen. Großbritannien kündigte weitere Hilfen für die Aufständischen an, nachdem die diplomatischen Bemühungen um eine Beilegung des Konflikts mit der Aufgabe von UNO-Vermittler Kofi Annan einen Rückschlag erlitten hatten. "Wir werden in den kommenden Wochen unsere praktische, aber nicht-militärische Unterstützung der Opposition steigern", sagte Außenminister William Hague der BBC. Außenminister Michael Spindelegger (V) bezeichnete den Rückzug Annans als "Weckruf" für die internationale Gemeinschaft, im Syrien-Konflikt an einem Strang zu ziehen. "Wenn die Tür für diplomatische Lösungen weiter geöffnet bleiben soll, müssen auch die Mitglieder des Sicherheitsrats in New York endlich Einigkeit zeigen", mahnte der Vizekanzler am Freitag in einer Aussendung. (APA/Reuters, 3.8.2012)