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Die Empörung über ihre Teilnahme bei den Olympischen Spielen ist in ihrer Heimat groß.

Foto: ap/Matt Dunham

London - Sie ist 16 Jahre alt und kommt aus einem Land, in dem Frauensport als schamlos gilt. Saudi-Arabiens Judoka Wodjan Ali Seraj Abdulrahim Shahrkani soll sich bei den London-Spielen bedeckt halten und steht doch im Mittelpunkt der Weltöffentlichkeit. Ihr Start am Freitag in der Klasse über 78 Kilogramm, der erste Auftritt einer Athletin aus Saudi-Arabien in der Olympia-Geschichte, ist schon jetzt das Symbol der London-Spiele.

IOC-Präsident Jacques Rogge sprach sogar von einem "Meilenstein". Erstmals haben alle Olympia-Teams Frauen nominiert - neben den Saudis als letzte Länder auch Katar und Brunei. Die Ringe-Organisation verspricht sich durch die historische Premiere eine Entwicklung des Frauensports in der arabischen Welt.

Tatsächlich steht Shahrkani als Hoffnungsträgerin - aber auch als Symbol für Unterdrückung. Schulsport ist in ihrer Heimat für Mädchen verboten, Autofahren auch. Frauensporteinrichtungen werden nicht genehmigt, und ohne Begleitung eines männlichen Familienmitglieds dürfen Frauen nicht verreisen. In London wird die Schwergewichtlerin von ihrem Vater begleitet.

"Blaues Auge der olympischen Bewegung"

Die MenschenrechtlerInnen von Human Rights Watch hatten das Internationale Olympische Komitee (IOC) Ende Februar noch an die IOC-Grundsätze erinnert und "wegen Geschlechter-Diskriminierung" den Olympia-Ausschluss Saudi-Arabiens gefordert. "Dass Frauen und Mädchen nicht für die Wettkämpfe trainieren können, verletzt eindeutig das Gleichberechtigungsgebot der olympischen Charta und verpasst der olympischen Bewegung selbst ein blaues Auge", hatte Human Rights Watch kritisiert.

Sittenwächter: schändlich und große Sünde

Shahrkani ist eine von zwei Athletinnen, die das Nationale Olympische Komitee Saudi-Arabiens nach London geschickt hat. Neben ihr repräsentiert die in den USA lebende 800-Meter-Läuferin Sarah Attar den Ölstaat. Bei der Eröffnungsfeier trugen beide Kopftücher und marschierten hinter ihren Mannschaftskollegen ins Stadion ein. Die Empörung der wahhabitischen Sittenwächter in der Heimat und Proteste in religiös-konservativen Kreisen waren trotzdem riesengroß. Ihre Teilnahme sei schändlich und eine große Sünde, hieß es.

Für ihren London-Start müssen sich beide strengen Vorschriften für den weiblichen Lebenswandel unterwerfen. Dazu gehöre "passende Kleidung nach Vorschrift der Scharia und die Begleitung von einem männlichen Aufpasser", erklärte Prinz Nawaf bin Faisal, Sportminister, Präsident des saudischen NOKS und IOC-Mitglied. Das Tragen des Hidschab, der islamischen Kopftuchvariante, ist in Saudi-Arabien für Frauen Pflicht.

Einigung auf speziell konzipierte Kopftücher

Eine Kontroverse um die traditionelle Frauenkopfbedeckung hätte das ehrgeizige IOC-Projekt der olympischen Gleichberechtigung beinahe noch gefährdet. Der Internationale Judoverband (IJF) hatte diese Woche eine Teilnahme ohne Kopftuch zur Bedingung für Shahrkanis Start gemacht. Das Kopftuch entspreche nicht den Regeln, sagte IJF-Präsident Marius Vizer. Außerdem gehe eine Verletzungsgefahr davon aus. Shahrkanis Vater wollte seine Tochter ohne Hidschab aber nicht starten lassen. Wieder musste das IOC vermitteln. Die streitenden Parteien einigten sich auf ein speziell konzipiertes Kopftuch für den Wettkampf.

IOC-Präsident Rogge atmete erleichtert auf. Die Suche nach einer geeigneten Athletin, die über die Rolle einer Alibi-Starterin hinauskommt, hatte sich für das IOC ohnehin als extrem schwierig gestaltet. IOC-Vize Nawal el Moutawakel wertete das Debüt der Saudi-Frauen als Fortschritt und "Grundstein" für die Zukunft. 1984 bei ihrem Olympiasieg über 400-Meter-Hürden sei sie auch die einzige Frau im marokkanischen Team gewesen. Eine rasche Verbesserung der Situation für Frauen in Saudi-Arabien scheint trotzdem unwahrscheinlich. (APA, 3.8.2012)