Sehr geehrter Herr Rauscher!

Ihr Artikel "Rad-Lösung" regt mich zu meiner ersten Rad-Stellungnahme an. Als Jahrgang 1953 habe ich mein erstes Rad als Zehnjähriger, um damals viel Geld, 1.350 Schilling, Puch Jungmeister 3-Gang, erhalten und habe die Freiheit, die Kilometer zur Schule, ins Bad und zu Freunden nicht mehr zu Fuß gehen zu müssen, als Wunder bejubelt und genossen. Ich weiß daher sehr genau, wie sich das Radfahren und Fahrverhalten im Allgemeinen seit 1963 verändert hat.

Damals war das Radfahren halbwegs ungefährlich, da aufgrund eines hohen Anteils von Einspurigen nicht die Mentalität herrschte, "was wollen die auf der Straße", sondern ein "Zammscheiben" wegen überhöhter Geschwindigkeit oder Fahren ohne Sicht von der Öffentlichkeit als das so ziemlich Schlimmste gesehen wurde.

Hilfe, ein Radfahrer auf der Landstraße

Die Wiederzunahme der Radfahrer ist mit ziemlicher Ablehnung und "Allgemein-Radfahrer-Hetzbereitschaft" von Autofahrern, welche die 50er und 60er Jahre nicht mehr kennen und nie mit einem Rad auf der Landstraße fahren würden, konfrontiert.

Haben sie die Presse zu tödlichen "Zammscheib-Unfällen" von Einspurigen vor Augen, z. B. dieses Frühjahr, als in Bruck/Fusch wegen zu "warmer Fahrbahn" eine junge Frau mit ihren Winterreifen leider ein paar Radlfahrer zammscheiben musste, die Arme(n). Ja Himmel, wo bewegen wir uns hin? Ins tausendjährige Reich des Autowahns? Und nur, weil die Öffentlichkeit, allen voran die Zeitungen, solche Unglücke kaum als Verantwortungslosigkeit der Autolenker anprangert. Es geht mir hier nicht um verstärkte Strafen, sondern um die prominente Ahndung.

Risikobereitschaft und Intoleranz

Seit 1963 fahre ich nun mit Fahrrad, Moped, Motorrad, Auto. Ich fahre weder besonders langsam, noch bin ich ein ganz penibel die vielen Verkehrszeichen einhaltender "Schlafzimmerschlapfen im Verkehr". Aber was ich an Risikobereitschaft und Ignoranz seitens der Autofahrer sehe, regt mich einigermaßen auf, und da kommt mir Ihre Ausdrucksweise ziemlich unangebracht vor.

Es gibt aber schon überhaupt keinen Grund, auf Radfahrer zu schimpfen, sondern Sie als Journalist hätten die Verpflichtung, die Partei der Radfahrer zu ergreifen, denn das Verhalten sehr vieler Autofahrer geht nach dem Motto: "Was behindert mich der da, ich bin genervt, darf der überhaupt da fahren - er zahlt ja nix, und überhaupt hab ich es eilig, außerdem bringt er mich mit seiner geringen Geschwindigkeit in Gefahr." Und aus dieser Haltung wird dann nach scheinbar von der Allgemeinheit geteilten Beschuldigungen gegriffen. Um das zu verstehen, müssten sie allerdings auch öfter mit dem Rad in Stadt und Land unterwegs sein.

Bitte nicht zu vergessen, die Straße ist nicht nur für Autofahrer da. Ein Traktor, Fußgänger, Erwachsene oder Kinder, sogar mit Kinderwagen darf man die Straße benutzen - noch!

Achtung der anderen Verkehrsteilnehmer

Jeder Autofahrer hat (noch) die Pflicht, die anderen Verkehrsteilnehmer zu beachten, nicht zu behindern und schon gar nicht zu gefährden. Wegen dieser verallgemeinernden Schimpferei fühlen sich die "einfältigsten" motorisierten Verkehrsteilnehmer autorisiert, gefährdend zu fahren, und wegen dieses zum verkehrstechnischen Volksübel gewordenen Stumpfsinns sagen die meisten Nichtradfahrer: "Ich bin doch nicht lebensmüde und fahr mit dem Rad!"

Lebensmüde?

Eine Schuldirektorin der Boerhaavegasse, Wien 3, bei der Erstbesprechung der Schulneulinge: "Und kommen's ja nicht auf die Idee und lassen die Kinder mit dem Rad zur Schule fahren."

Appell an die Autofahrer

Und dagegen wettere ich hiermit! Neben Sicherheitsaufrufen, verpackt in netten Broschüren von ÖAMTC, ARBÖ, AUVA, braucht es ebenso dringend Appelle an die Autofahrer: "Liebe Autofahrer, im Frühjahr kommen vermehrt Radfahrer auf die Straßen, also fahren Sie auf Sicht, denken Sie dran: Überholen vor Kuppen und unübersichtlichen Kurven ist VERBOTEN, weil man den Gegenverkehr NICHT sieht."

Vor allem auf Landstraßen scheinen Pkws und Lkws oft von Radfahrern überrascht. Ein Beispiel: In Pfaffstätten Richtung Mödling auf der engen und kurvigen Weinstraße zwängt sich ein entgegenkommender Pkw zwischen einem riesigen Traktor und mir mit 50 bis 60 km/h durch, und ich muss in meiner Not mit dem Rad ganz Richtung Rand, wo ein Asphaltwulst in Fahrtrichtung auf der Fahrbahn sich gebildet hatte. Ich wäre dem Auto fast vor die Kühlerhaube gefallen ...

Autoverkehrsregelnde Maßnahmen

Zur eigenen Vorbeugung gegen einen Herzinfarkt ärgern Sie sich nicht, wenn Radfahrer aufgrund der vielen Behinderungen wegen autoverkehrsregelnder Maßnahmen sich manche italienischen Freiheiten rausnehmen, z. B. vor der grün blinkenden Ampel schnell treten, um noch irgendwie, sogar auf Straßenbahnschienen, über die Ampel zu kommen, wie als Negativum von Herrn Rauscher zitiert wurde - wenigstens behindert er die Strecke bis zur nächsten roten Ampel nicht. Auch hilft mehr Gelassenheit gegenüber Radfahrern, denn es lässt sich halt nicht verhindern, dass sie im innerstädtischen Bereich schneller vorankommen.

Beispiele von gemeingefährdendem Fahrverhalten von Autofahrern auf Landstraßen könnte ich ohne Ende erzählen. Sollte man diese Beispiele auch als "verhaltensoriginell" bezeichnen?

Im städtischen Bereich finde ich aufgrund der verminderten Geschwindigkeit von Autos das Radfahren nicht so gefährlich, auch wenn die hoffnungslos vermurksten Lösungen abseits der Fahrbahn im Mischverkehr mit Fußgängern (Gürtelradweg, Ringradweg, Radweg Zweierlinie) ein gemeinsames Miteinander von vornherein erschweren und gefährliche Situationen heraufbeschwören.

Achtung vor der Hetze gegen Radler

Auf der Website des Kuratoriums für Verkehrssicherheit findet sich eine Statistik der Unfälle nach Verkehrsteilnehmern. Rund 50 Prozent Autofahrer und etwas weniger Einspurige, Fahrräder und Fußgänger zusammen - in absoluten Zahlen. Wenn man nun die Zahl der getöteten und verletzten Einspurigen und Radfahrer in Relation zur Anzahl der Verkehrsteilnehmer insgesamt setzt, schaut es schon ziemlich grimmig für die Einspurigen aus. Es müssen wohl ein Zig-Vielfaches mehr Autofahrer als Einspurige und Radln unterwegs sein. Daher: "Ich bin doch nicht lebensmüde!"

Bitte die Journalistik auf diesen Umstand aufmerksam zu machen. Otto Normalverbraucher, der nicht Rad fährt, ist leider so leicht zur Hetze gegen Radfahrer zu verführen. Und dann braucht's nimma viel, um die Gefährdung auch in Kauf zu nehmen, weu: "Wer is schuid, no de Radlfoara, de hob i scho gfressn! Gehns amoi in a Wirtshaus und hoachns ina des aun!"

Mit freundlichen Grüßen, Kurt Krenhuber. (Kurt Krenhuber, Leserkommentar, derStandard.at, 3.8.2012)