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Der Männeranteil an den vergebenen Medizin-Studienplätzen liegt heuer bei 44,1 Prozent und damit deutlich unter jenem des Vorjahrs (56,9 Prozent).

Foto: APA/Lilli Strauss

"Mein Traum, Medizin zu studieren, wird aufgrund einer Quote zunichtegemacht", sagt Helmut B. Er ist einer von 3.630 Bewerbern für das Medizinstudium an der Med-Uni Wien, die keinen Platz bekommen haben. Zum ersten Mal wurden die Ergebnisse des Eignungstests für das Medizinstudium (EMS) dieses Jahr genderspezifisch ausgewertet – zugunsten der weiblichen Prüflinge. "Ich wäre geeignet für das Studium, darf aber aufgrund einer Quote nicht studieren", sagt Helmut. Er ist überzeugt, dass er nur aufgrund der neuen Bewertungsmethode keinen Platz bekommen hat, und will sich nun an die Studierendenvertretung wenden.

Die genderspezifische Auswertung der Testergebnisse beim EMS in Wien war eine Reaktion der Med-Uni auf das bisher schlechtere Abschneiden ("Gender-Gap") von weiblichen Bewerberinnen. Im Jahr 2011 waren rund 56 Prozent der Testteilnehmer Frauen (2010: ebenfalls 56 Prozent), nach der Auswertung betrug die Frauenquote bei den zum Studium Zugelassenen aber nur 43,1 Prozent, geringfügig mehr als 2010 (42 Prozent). Bei der Med-Uni Innsbruck kommt ebenfalls der EMS zum Einsatz, das Auswertungsverfahren blieb dort aber wie die Jahre zuvor geschlechterneutral. In Innsbruck waren 58 Prozent der Testteilnehmer Frauen, ihr Anteil bei den Aufgenommenen beträgt dagegen nur 47 Prozent.

"Purer Sexismus"

Der EMS-Testwert wird mittels einer Formel berechnet. Die vom Prüfling erreichte Gesamtpunktezahl wird dabei um den errechneten Mittelwert verringert und durch die Standardabweichung dividiert. Anders als in den Jahren zuvor wurden Mittelwert und Standardabweichung heuer für beide Geschlechter getrennt bestimmt – und für die weiblichen Bewerberinnen niedriger angesetzt. Die gleiche Gesamtpunkteanzahl führt bei dieser Auswertungsmethode also zu einem höheren Testwert für Studienwerberinnen und somit zu einer Bevorzugung weiblicher Prüflinge. Das zeigt sich auch im Ergebnis: Der Frauenanteil bei den 740 vergebenen Studienplätzen liegt heuer bei 55,9 Prozent und entspricht damit beinahe jenem der beim Test Angetretenen (56 Prozent).

Die neue Auswertungsmethode regt nicht nur Helmut B. auf. Seit dem Bekanntwerden der EMS-Ergebnisse am 1. August wird in den Foren der Plattform medizinstudium.at heftig diskutiert. Viele Betroffene drohen, gegen das neue Bewertungssystem klagen zu wollen. Die Studierendenvertretung Humanmedizin kündigte bereits an, Studierende bei gerichtlichen Klagen unterstützen zu wollen.

Als "puren Sexismus" bezeichnet Manuel S. die neue Berechnungsmethode. "Der Gender-Gap wurde einfach in die umgekehrte Richtung gedreht", sagt er. Der EMS solle als Eignungstest die geeignetsten Bewerber selektieren, nicht aber auf das Geschlecht Rücksicht nehmen. "Warum sollte man wegen eines XY-Chromosoms nicht studieren dürfen, obwohl man geeigneter wäre?"

Valentina I. sieht die Diskussionen gelassen. Sie ist dieses Jahr zum ersten Mal angetreten – und konnte einen Studienplatz ergattern. "Mit meiner Punkteanzahl hätte ich es aber auch ohne Frauenquote geschafft", sagt sie. Die männlichen Bewerber sollten sich nicht so aufregen, "nur weil diese Jahr zehn Prozent mehr Frauen genommen wurden als Männer".

"Klage kein Thema"

Gelassen sieht das Ergebnis des neuen EMS die Leitung der Med-Uni Wien. Die Vizerektorin für Lehre, Gender und Diversity, Karin Gutiérrez-Lobos, war zwar auf Anfrage von derStandard.at nicht zu sprechen. Die Pressestelle versucht jedoch zu beschwichtigen. Im kommenden Jahr werde es ohnedies einen neuen, einheitlichen Test gemeinsam mit den Medizinischen Universitäten in Graz und Innsbruck geben. Das neue Auswahlverfahren sei in Arbeit, "die bekannten Schwächen des EMS werden ausgemerzt". Man wolle den neuen Test so gestalten, dass spezifische Auswertungen gar nicht mehr nötig seien.

Über die Aufregung unter den Bewerbern heißt es von der Med-Uni Wien: "In den Foren geht es immer rund, natürlich ist das eine hochemotionale Geschichte." Die Androhung von Klagen fürchte man aber nicht, "das ist kein Thema, es gibt keine Klage".

Sozialisation als Ursache

"Ich habe schon vor Jahren gesagt, dass eine genderspezifische Auswertung keine Lösung ist, denn sie ändert nichts an den eigentlichen Problemen", sagt Bildungspsychologin Christiane Spiel. Der EMS zeige die Benachteiligungen auf, die Mädchen in Bezug auf schulische Sozialisation nach wie vor zu schaffen machten.

Ähnlich sieht das die Studierendenvertretung Humanmedizin. "Anstatt beim eigentlichen Problem des Gender-Gaps, welches schon in der Schule beginnt, anzusetzen, wird bei der neuen Art der Auswertung einfach eine Bevorzugung des einen Geschlechts auf Kosten des anderen Geschlechts ausgeübt", heißt es in ihrer Stellungnahme. Die Studierendenvertretung sieht auch den Ruf der Frauen in der Medizin gefährdet: Studentinnen, die auch ohne Quote einen Platz erhalten hätten, seien ab sofort als Gender-Quotenfrauen abgestempelt. Das führe zu einer Diskrimination von "leistungsstarken Frauen".

In einer Studie zur Evaluation des EMS stellte Bildungspsychologin Spiel 2008 gemeinsam mit anderen Wissenschaftlern fest, dass Burschen in den Schulen in Mathematik und Naturwissenschaften von den Lehrern meist stärker gefördert werden als Mädchen. Die Folge seien eine geringere Motivation der Mädchen in diesen Bereichen und ein sinkendes Vertrauen in ihre Fähigkeiten. "Es muss sich daher in den Schulen etwas verändern", sagt Spiel. Das sei derzeit auch der Fall: Ein an einigen Schulen laufendes Pilotprojekt ziele auf eine "reflexive Koedukation" (Gemeinschaftserziehung) ab. "Lehrer lernen, die Individualität der Schüler und nicht deren Geschlecht in den Vordergrund zu stellen", erklärt Spiel.

"Es geht nicht nur um Gendergerechtigkeit"

Bei einem Eignungstest wie dem EMS gehe es nicht nur um Gendergerechtigkeit, sagt Spiel zur aktuellen Debatte. "Viel wichtiger ist, dass ein solcher Test stärker ausgerichtet ist auf die Anforderungen, die der spätere Beruf erfordert", sagt die Bildungspsychologin. Derzeit liege der Fokus des EMS stark auf den Naturwissenschaften, das sei aber nur ein Teil des späteren Arztberufs.

Signale, dass der derzeit in Ausarbeitung befindliche Eignungstest in diese Richtung gehen wird, kommen aus Graz. Hans Peter Dimai, Vizerektor für Studium und Lehre an der Med-Uni Graz, betonte kürzlich, dass es wichtig sei, soziale Kompetenzen, kognitive Fähigkeiten und sozialpsychologische Fragestellungen in den Test einzubauen.

Für Helmut B. heißt es warten auf das nächste Jahr. Er ist bereits zum zweiten Mal beim EMS angetreten. Trotz seiner Frustration über die Frauenquote hält er nichts von einer "sexistischen Hetze", in die so manche Diskussion teilweise ausartet. Ihm gehe es nur darum, "Gerechtigkeit walten zu lassen". Im nächsten Jahr will Helmut es wieder probieren, dann mit dem neuen Testverfahren. (Sarah Dyduch, derStandard.at, 3.8.2012)