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Dieser Juwelier in Barcelona reagiert auf geringe Kaufkraft. Doch was ist der Euro in Zukunft wert - und welche Variante führt zu Stabilität? Experten sind darüber ganz unterschiedlicher Ansicht.

Foto: reuters/albert gea

Uneinigkeit und Streit unter (Wirtschafts-)Experten ist man gewohnt. Aber das war einzigartig: Innerhalb von nur drei Tagen gab es nach dem letzten EU-Gipfel drei öffentliche wirtschaftspolitische Aufrufe von Ökonomieprofessorinnen und -professoren im deutschsprachigen Raum. Alle betrafen Fragen rund um die Politik in der Euro zone (EMS, Fiskalunion, Bankenunion). Den Anfang machte eine Gruppe von etwa 200 Ökonomen rund um Walter Krämer (Universität Dortmund; aus Österreich unterschrieben u. a. Erich Streißler und Klaus Ritzberger). Sie warnte davor, Deutschland noch stärker in Haftung für europäische Banken und Schulden zu nehmen. Ihre Argumente lassen sich natürlich auch auf Österreich übertragen.

Die etwas demagogische und pathetische Sprache des Aufrufs hat eine kleine Gruppe von Ökonominnen und Ökonomen zu einem sofortigen Widerspruch angeregt. Auch die deutsche Kanzlerin Angela Merkel reagierte noch am selben Abend ablehnend. Einen Tag später gab es dann einen ausgewogeneren Gegenaufruf von wieder etwas mehr als 200 Ökonominnen und Ökonomen, initiiert von Frank Heinemann (TU Berlin) und Gerhard Illing (Universität München; aus Österreich war u. a. Monika Merz dabei).

Das "Wortgefecht" setzt sich seither in deutschen Tageszeitungen sowie auf vielen Blogs fort. Olaf Storbeck hat im Handelsblatt den Begriff der "Aufruferitis" geprägt. Auf den ersten Blick ist es ein verheerendes Bild, das die deutschsprachige Wirtschaftswissenschaft da abgibt. Sie vermittelt den Eindruck, dass es unter den Experten ein großes Maß an Uneinigkeit gibt. Diese gibt es aber nur, was die politischen Konsequenzen aus der ökonomischen Analyse der Probleme im Euroraum betrifft. Hier treten die ideologischen Unterschiede zutage. In der zugrundeliegenden wissenschaftlichen Analyse ist man sich - auch wenn das paradox erscheinen mag - weitgehend einig.

Letztlich geht es um die einfache Frage, ob die Europäische Währungsunion weiter vertieft werden soll oder nicht. In der Öffentlichkeit geht völlig unter, dass die seriöse Analyse in dieser Frage seit 15 Jahren oder länger abgeschlossen ist. Bei der Einführung des Euro wurden in der politischen Auseinandersetzung, vor allem in Deutschland, vor allem zwei Aspekte ausführlich öffentlich diskutiert: Die traditionellen Weichwährungsländer im Süden würden niedrigere Zinsen von Deutschland "importieren", und der Euro würde möglicherweise eine nicht so stabile Währung sein können wie der Schilling oder die D-Mark.

Tatsächlich stellte das letztere Szenario nie eine reelle Gefahr dar; es hätte ein Blick ins Statut der EZB gereicht, um das zu sehen. Schon damals war vielen aber klar, dass die wahre Gefahr im zu erwartenden unterschiedlichen Produktivitätswachstum der Euroländer liegen würde. Im Euroraum gibt es zu wenig Mobilität, um die zentrifugalen Kräfte, ausgelöst durch Produkti vitätsunterschiede zwischen den Staaten, in Schach halten zu können. Selbstverständlich ist auch der "Finanzausgleich" zwischen verschiedenen Regionen viel weniger ausgeprägt, als er das innerhalb der Mitgliedsstaaten zwischen den föderalen Einheiten ist.

Ziel: Eurostabilisierung

Letztlich hatten viele Experten darauf vertraut, dass die weitere europäische Integration die Mobilität ausreichend erhöhen würde oder dass die Kraft des Faktischen bzw. die Sachzwänge zur allenfalls notwendigen Vergemeinschaftung von signifikanten Teilen der Fiskalpolitik führen würden. Im Moment geht es sowohl um die grundlegende Frage des Ziels (Euro behalten versus Euro nicht behalten) als auch um die Frage der optimalen wirtschaftspolitische Mittel, um das Ziel der Eurostabilisierung zu erreichen.

Das ist auch der Hauptkritikpunkt am ursprünglichen Aufruf, initiiert von Walter Krämer. Er spricht nicht aus, dass eine Ablehnung von Fiskalunion und Bankenunion unweigerlich zu einer Renationalisierung der Währungspolitik, also einem Zerfall der Eurozone, führen wird. Das wäre ein weitaus weniger apokalyptisches Szenario als viele denken, würde aber ganz sicher zu massiven negativen Konsequenzen für alle führen. Kurzfristig könnte es zu großen Verwerfungen im globalen Finanzsystem kommen; langfristig würden darunter vor allem die Exportländer im Euroraum leiden, also u. a. Deutschland und Österreich.

Es ist aber grundsätzlich Aufgabe der Politik, genauer genommen: Aufgabe der Wähler - und nicht der Experten -, zu entscheiden, ob eine weitere Integration gewünscht wird oder nicht. Klar ist, dass ohne Bankenunion und Fiskalunion der Euro mittelfristig als Währung einer Mehrzahl der EU-Staaten nicht bestehen kann.

Es ist auch keine Lösung, dass Sozialwissenschaftler - und nichts anderes sind Ökonomen - zu wirtschafts- und gesellschaftspolitischen Fragen keine klare Stellung beziehen. Wenn dadurch der Eindruck fehlender Einigkeit entsteht, ist das zwar ein bedauerlicher Nebeneffekt, aber die Alternative, nichts zu sagen, wäre zweifellos schlechter. Außerdem wird das Ausmaß der Uneinigkeit medial übertrieben.

Vier Grundregeln

Ökonominnen und Ökonomen sollen sich also an der politischen Diskussion beteiligen und auch ihre persönliche Meinung vertreten, aber sie sollten dabei meines Erachtens folgende vier Grundregeln beachten: Erstens sollten sie die Konsequenzen ihrer Empfehlungen immer offenlegen. Das gebietet die Lauterkeit. Zweitens wäre es gut, wenn klar unterschieden und öffentlich gemacht werden würde, ob es sich bei einer Aussage um eine wissenschaft liche Analyse oder eine politische Schlussfolgerung handelt.

Drittens sollte es wieder eine verstärkte Hinwendung zum Denken in Alternativen geben. "Alternativlos" ist ein zulässiger politischer (Kampf-)Begriff, aber die Stärke wirtschaftswissenschaft licher Analyse liegt gerade darin, Nutzen und Kosten verschiedener Handlungsalternativen abzuwägen und die Politik bzw. die Wähler entscheiden zu lassen.

Und viertens wäre ein wenig mehr Demut angebracht. Viele Ökonominnen und Ökonomen haben zwar schon lange vor 2008 vor den Risiken im Finanzsektor gewarnt, aber fast alle haben tatsächlich die weltweiten Auswirkungen des Platzens der Immobilienpreisblase in den USA unterschätzt.

Das größte Problem ist allerdings, dass es einige Ökonominnen und Ökonomen gibt - und das sind insbesondere jene, die man häufiger in Talkshows und in Interviews sieht und hört -, die den Eindruck vermitteln, Wirtschaftswissenschaft bestehe zum Großteil aus Prognosen. Eine gewisse Ehrlichkeit über die Grenzen unserer Prognosefähigkeiten, die enger sind, als viele glauben, stünde uns allen gut an. (Martin Kocher, DER STANDARD, 2.8.2012)