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"Die Zirkumzision ist ein invasiver Eingriff und hat nichts mit Nägelschneiden zu tun", ist der Wiener Urologe Florian Thomas Wimpissinger überzeugt.

Eine Beschneidung ist harmlos wie "Fingernägel schneiden", behauptet Muslimen-Präsident Fuat Sanaç. Der israelische Journalist und Filmemacher Ari Libsker sieht durch den chirurgischen Eingriff hingegen die Sexualität des Mannes gefährdet. In der Debatte um das Verbot religiöser Beschneidungen wurden medizinische Fakten bisher vernachlässigt. 

"Die Zirkumzision ist ein invasiver Eingriff und hat nichts mit Nägelschneiden zu tun", betonte Florian Thomas Wimpissinger am Mittwoch bei einer Pressekonferenz in Wien. Die schmerzhafte Operation wird von dem Wiener Urologen bis etwa zum 25. Lebensjahr in Vollnarkose durchgeführt und nur dann, wenn sie auch medizinisch indiziert ist. Phimosen (Vorhautverengungen, Anm.), Tumorerkankungen oder Feigwarzen machen den chirurgischen Eingriff unter Umständen erforderlich. Nicht immer ist die medizinische Indikation laut Wimpissinger auch tatsächlich gegeben. "Die Phimose wird in der Regel im Kindesalter überdiagnostiziert. Ein Zurückschieben der Vorhaut ist oft erst ab dem vierten oder fünften Lebensjahr möglich, bis dahin ist die Vorhaut mit der Eichel verwachsen."

Von der Weltgesundheitsorganisation (WHO) wird die Zirkumzision in afrikanischen Hochrisikogebieten als Anti-Aids-Strategie empfohlen. Als hygienische beziehungsweise präventive Maßnahme gegen eventuelle Infektionen und Krebs ist die männliche Beschneidung in Anbetracht möglicher medizinischer, sexueller und psychischer Folgen allerdings umstritten.

Sexuelle Beeinträchtigung

Während Wimpissinger auftretende Komplikationen wie Blutungen, Wundheilungsstörungen und postoperative Harnröhrenverengungen erwähnt, sieht Georg Pfau, Sexualmediziner in Linz, vor allem das sexuelle Erleben von Männern nach einer Beschneidung empfindlich gestört. Bedingt ist diese Beeinträchtigung nicht zuletzt durch den Verlust sensorischer Nervenenden und die zunehmende Verhornung der Eichel. Mit den Langzeitfolgen der Beschneidung für das männliche Selbstwertgefühl sieht sich Pfau in seiner Praxis immer wieder konfrontiert.

Kastrationsängste

Christa Pölzlbauer, Vizepräsidentin des Österreichischen Bundesverbands für Psychotherapie, formuliert es drastisch: "Etliche psychoanalytische Experten betonen, dass die Beschneidung Kastrationsängste auslösen kann." Sigmund Freud beispielsweise hat das verstärkte Interesse der Buben am Genitalorgan um das vierte und fünfte Lebensjahr beschrieben. Er spricht von der sogenannten "phallischen Phase", in der Sexualorgane einen hohen narzisstischen Stellenwert haben. "Die Angst, dass dieses wertvolle Organ Schaden nimmt, wird Kastrationsangst genannt", ergänzt die Psychotherapeutin und spricht von psychischen Narben, die der Eingriff hinterlässt.

Wohl der Kinder in den Vordergrund rücken

Die Expertenrunde ist sich einig und bezweifelt, dass das Wohl der Kinder in der der Debatte über die Beschneidung im Vordergrund steht. Klaus Vavrik, Kinderarzt und Jugendpsychiater, will die Interessen der Kinder endlich vertreten wissen. "Niemand in einer aufgeklärten Gesellschaft würde ein Zwangsritual an Erwachsenen gutheißen oder tolerieren. Kein Rechtsstaat würde dem zustimmen, warum dann bei Kindern?", fragt der Experte und schlägt vor, das Alter der Beschneidung nach hinten zu verlegen, um eine mündige Einwilligungsfähigkeit zu gewährleisten. "Wir Urologen halten uns an die medizinischen Vorgaben", so Wimpissinger. Den plastisch-chirurgischen Bestimmungen, denen die Beschneidungen derzeit unterliegt, folgt der Mediziner nicht. Die ab 2013 gesetzliche Regelung, die Schönheitsoperationen unter 16 Jahren grundsätzlich verbietet, könnte den Anforderungen der Expertenrunde gerecht werden. (Regina Philipp, derStandard.at, 1.8.2012)