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Ägyptische Militärpolizisten vor dem Verfassungsgerichtshof in Kairo. Seine Entscheidungen sind hochpolitisch.

Foto: APA/EPA/Elfiqui

Kairo/Wien - In Ägypten findet gerade eine Art Wettlauf zwischen Justiz und Politik statt: Das - vom aufgelösten Parlament gewählte - Gremium, das an der neuen ägyptischen Verfassung arbeitet, ist von gerichtlicher Auflösung bedroht. Nun hat das damit befasste Verwaltungsgericht seine Entscheidung auf frühestens 24. September vertagt - und deshalb wird die Verfassunggebende Versammlung versuchen, bis dahin ihren Text fertigzustellen, sagen manche Mitglieder.

Ob sie das schafft, ist jedoch fraglich: Drei Monate veranschlagt laut "al-Masry al-Youm" der Sprecher des Gremiums, Wahid Abdel Meguid, für die Arbeit, eine Schätzung, die andere eher als konservativ bewerten.

Es geht um mehr als nur um die Zukunft dieses Gremiums. Das Verwaltungsgericht hat nämlich auch entschieden, dass die umstrittene ergänzende Verfassungserklärung, die die Militärs kurz vor der Präsidentschaftswahl Mitte Juni herausgaben, nur durch eine neue Verfassung abgelöst werden kann. Auch der neue Präsident Mohammed Morsi hat da nichts zu melden. Das heißt: Wenn die Verfassunggebende Versammlung Ende September aufgelöst wird, ohne dass eine neue Verfassung da ist, dann haben die Militärs die Befugnis, ein neues Gremium zu bestimmen. Denn das steht unter anderem in der Verfassungserklärung.

Sonderrolle des Militärs

Das würde den Militärs das Vorhaben erleichtern, ihre Sonderrolle als über der Verfassung stehend - oder auch als ihr Garant, nach türkischem Modell - zu verankern. Darüber wird in der Verfassungsversammlung heftig diskutiert - nur einer der Punkte, wo man nicht recht weiterkommt.

Meldungen, dass man sich über diesen und jenen Verfassungsartikel geeinigt habe, stellen sich meist als verfrüht heraus beziehungsweise halten die in den einzelnen Komitees erarbeiteten Lösungen dann oft nicht im Plenum. Einer der großen Brocken ist das zukünftige Regierungssystem, in dem das Parlament natürlich eine ernstzunehmende politische Größe sein soll. Aber die Angst vor der islamistischen Dominanz lässt die anderen für zumindest ein semipräsidentielles System kämpfen - obwohl ja auch Morsi aus den Reihen der Muslimbrüder kommt.

Die Muslimbrüder haben bei den Säkularen einigen Respekt errungen dadurch, dass sie bisher Artikel 2, der besagt, dass die "Prinzipien des Islam" die "hauptsächliche Quelle für die Gesetzgebung" sind, zumindest vor einer Verschärfung bewahren: Die Salafisten wollen sowohl das Wort "Prinzipien" als auch "hauptsächlich" streichen. Die theologische Hochschule Al-Azhar hat sich ebenfalls gegen eine weitere Islamisierung der Verfassung gestellt: Das würde erstens gegen den nationalen Konsens gehen, und zweitens halte das Wort "Prinzipien" die Möglichkeiten für die verschiedenen islamischen Rechtsschulen offen. Auch ein Zusatz, dass die Scharia für Nichtmuslime nicht gilt, wird diskutiert.

Auf der anderen Seite geht laut "Ahram Online" im Moment die Tendenz dazu, Artikel 46, der die Religionsfreiheit garantiert, so zu verändern, dass er "göttliche Religionen", denen der Staat freie religiöse Praxis garantiert, erwähnen würde: Damit sind die abrahamitischen Religionen gemeint, also Judentum, Christentum und Islam. Das wäre eine klare Schlechterstellung der anderen Konfessionen, auch wenn die Befürworter betonen, es gehe dabei nur um das Recht auf staatliche Hilfe bei Bau und Erhalt von religiösen Gebäuden.

"Das Volk allein"

Den Salafisten ist auch Artikel 3 nicht recht, der festhält, dass die Souveränität "vom Volk allein" ausgeht. Und wenn sie es schon nicht schaffen, die Souveränität Gottes in der Verfassung verankern zu lassen, so wollen sie wenigstens das Wörtchen "allein" loswerden.

In Artikel 1 haben sie hingegen das Wort "konsultativ" hineinreklamiert, wonach nun Ägypten ein "moderner, demokratischer, konsultativer Verfassungsstaat" sein wird: Den Säkularen stößt das Wort sauer auf, da es von "Shura" kommt und damit religiöse Untertöne hat. Letztlich wurde es aber als Variante von "demokratisch" akzeptiert. "Zivil" hat es hingegen nicht in die Liste der die Republik beschreibenden Attribute gebracht. Das war den Religiösen zu säkular angehaucht. (Gudrun Harrer, DER STANDARD, 1.8.2012)