Barbara Csar hat entschieden. Und das ist eben eine Tatsache.

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Shin A Lam saß und saß und saß und erweckte dabei den Eindruck einer gewissen Trotzigkeit.

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London - Fritz Ostermayer, der begnadete "Generaldilettantist", den sich die Wiener Schule für Dichtung als Nachfolger des weitaus zu früh verstorbenen Christian Ide Hintze gewählt hat, schrieb im vergangenen Jahrhundert ein wunderbar jenseitiges Buch. Gott ist ein Tod aus der Steckdose heißt es. Und obwohl es da nicht ums Degenfechten geht, denken die Degenfechterinnen seit Montag wohl intensiv an diesen Fritz Ostermayer. Und nicht nur deshalb, weil der zu allem und jedem, wenn schon nichts zu sagen hat, so doch sagt.

Ostermayer fiele gewiss auch was Poetisches ein zu den halbfinalisierend degenden Damen, über welche die Salzburgerin Barbara Csar am Montagabend nicht bloß die Oberaufsicht führte, sondern gottgleich verfügte.

Die Südkoreanerin Shin A Lam lehnte sich sehenswert auf gegen die alpine Göttin, trat nach ihrer sehr knappen Niederlage gegen die Deutsche Britta Heidemann - immerhin Goldene aus Peking 2008 - in einen halbstündigen Sitzstreik, nachdem ihr Trainerstab zuvor und währenddessen wütend protestiert hatten.

Uhrenvergleich

Das Degen-Halbfinale war tatsächlich kurios. Beim Stand von 5:5 im Sudden Death hatte es zwei Doppeltreffer innerhalb der letzten Sekunde gegeben. Kampfgericht-Obfrau Richterin Barbara Csar verlangte daraufhin beim Kampfgericht die Überprüfung der Uhr. Bei der wurde ein Fehler festgestellt. Beide Fechterinnen akzeptierten die Csar'sche Entscheidung, die letzte Sekunde noch einmal zu fechten. Heidemann traf, Shin verlor.

Und zwar auch die Beherrschung. Eine Krankheit, die südkoreanische Funktionäre und Sportler seit langem zu plagen scheint. In die Geschichte eingegangen ist diesbezüglich der Boxbewerb bei den Heimspielen in Seoul 1988, als Byun Jong-il, nach einem Kopfstoß gegen den Bulgaren Alexandar Christov nicht als Sieger gewertet, zum Anlass einer Rudel-Handgreiflichkeit wurde.

In der Außenwahrnehmung hat der Spitzensport eine sehr klare Entscheidungsstruktur: Der Bessere gewinnt. Tatsächlich bietet diese vordergründige Entscheidungsklarheit jede Menge Imponderabilien. Und jene, welche alle am meisten - und die Südkoreaner offenbar am allermeisten - aufbringt, ist die Gottgleichheit des Richteramts.

Der Sportrichter - Schieds-, Kampf-, Wertungsrichter - ist im Rahmen dessen, was der Sport absteckt, die letzte Instanz, das jüngste Gericht. Gott - beziehungsweise in diesem Fall Göttin.

Die Sportrichterin Csar traf - darauf verwies der deutsche Verband mit einigem Recht - eine Tatsachenentscheidung. Und diese definiert sich nicht dadurch, dass sie den Tatsachen entsprechen muss, sondern dadurch, dass sie eine solche erst schafft.

In dem Fechterfall dürfte allerdings nicht einmal diese Tatsachenentscheidung die Empörungsgrundlage gewesen sein. Sondern deren Gegenteil: die unbestechliche Technik, auf deren Einführung ja rund um den Globus jeder, jede und auch jeder und jede Nerd geradezu drängt.

Shins symbolischer Tod kam eindeutig aus der Steckdose. In der letzten Sekunde der einminütigen Verlängerung war beim Stand von 5:5 dreimal angefochten worden, ohne dass das akustische Signal für das Ende des Kampfes ertönte oder ein Treffer gelandet wurde. Erst im vierten Versuch gelang Heidemann dann der Siegtreffer.

Die spätere Silbermedaillengewinnerin Heidemann versteht ihre ang' fressene Gegnerin durchaus. "Das war kein Fehler der Athleten, sondern einer der Technik. Das darf nicht passieren. Wir brauchen mehr Transparenz. Die Zeitabläufe sollten noch genauer ersichtlich sein."

Putzige Hilflosigkeit

Solche Erkenntnisse sind geradezu putzig in ihrer Hilflosigkeit. Wie nämlich sollte "mehr Transparenz" möglich sein, wenn doch unbestrittenerweise die Technik versagt hat? Durch Richter mit ihren Tatsachenentscheidungen?

Barbara Csar - übrigens einzige Richterin bei den olympischen Fechtern - hat sich "regelkonform verhalten. Dies wurde auch in Folge von der Kommission und dem Technischen Direktorium bestätigt." An der " Tatsachenentscheidung" sei nicht zu rütteln.

So bitter es sei. Weil Heidemann "passiver" war, wäre Shin weitergekommen, hätte die Deutsche nicht in der letzten, kuriosen Sekunde getroffen. Shins Trainer kalmierte am Ende. Man gebe niemandem die Schuld, "das Ganze ist ein Fehler des technischen Equipments". (wei, DER STANDARD, 1.8.2012)