STANDARD: Basescu kehrt zurück, die Regierung muss mit ihm zusammenarbeiten. Braucht es eine neue politische Kultur?
Orban: Es ist langfristig notwendig, mehr Kapazitäten zu entwickeln, um politische Kompromisse zu finden. Zurzeit sind aber die Spannungen sehr groß, und ich kann überhaupt nicht voraussagen, was nun folgen wird. In Rumänien hat der Begriff Kompromiss einen negativen Beigeschmack. Aber wenn es um das nationale Interesse geht, brauchen wir diese Fähigkeit.
STANDARD: Die Einleitung des Amtsenthebungsverfahrens hat die EU-Kommission auf den Plan gerufen. Brüssel sieht den Rechtsstaat in Gefahr. Verstehen Sie diese Sorge?
Orban: Zehn Empfehlungen der Kommission sind mit den politischen Ereignissen verbunden. Premier Ponta hat erklärt, dass er alle so bald wie möglich erfüllen wird. Manche sind es bereits, etwa die Rücknahme der Notverordnung, die die Kompetenzen des Verfassungsgerichtshofs betrifft. Meine Überzeugung ist, dass alle Zusagen in relativ kurzer Zeit erfüllt sein werden.
STANDARD: Haben Sie ein Zeitlimit?
Orban: Nein, die Kommission wird bis zum Jahresende einen neuen Bericht verfassen. Aber wenn Rumänien die Verpflichtungen vorher erfüllt, dann kann der Bericht auch vor Jahresende kommen.
STANDARD: Rumänien will bereits seit längerer Zeit das EU-Monitoring loswerden. Jetzt wird sogar von einem permanenten Monitoring gesprochen.
Orban: Das glaube ich nicht. Dafür gibt es keinen Grund. Ich glaube, dass man einen permanenten Überwachungsmechanismus im Bereich der Korruptionsbekämpfung und der Justiz in allen EU-Staaten einführen soll. Denn es gibt nicht nur in Rumänien und Bulgarien Mängel. Wir anerkennen, dass wir einige Probleme haben, aber es gibt Mängel in vielen, vielen Mitgliedsstaaten. Wenn nur Rumänien und Bulgarien auf diese Art geprüft werden, bedeutet das, dass wir anders behandelt werden als die anderen.
STANDARD: Wird der Schengen-Beitritt wieder verschoben?
Orban: Das ist zu früh zu sagen. Der Punkt ist aber noch immer im Entwurf der Agenda des Außenministerrats im September. Manche Mitgliedstaaten warten ab, wie Rumänien die Empfehlungen der Kommission umsetzt.
STANDARD: Haben Sie noch Hoffnung?
Orban: Wir müssen Hoffnung haben.
STANDARD: Viele vergleichen die Rechtsstaatsprobleme in Rumänien mit jenen in Ungarn.
Orban: Man kann Rumänien überhaupt nicht mit Ungarn vergleichen. Ich hoffe, dass wir sehr, sehr schnell aus dieser Situation herauskommen.
STANDARD: Weshalb ist Rumänien noch immer nicht in der Lage, die EU-Fonds effizient abzuschöpfen?
Orban: Wir haben Probleme mit der niedrigen Verwaltungskapazität. Eine Lösung wäre, die Anzahl der Beamten, die sich damit befassen, zu erhöhen und sie zweitens alle gleich zu bezahlen. Wo die Löhne höher sind, sind die Ergebnisse besser. (Adelheid Wölfl, DER STANDARD, 31.7.2012)