Bild nicht mehr verfügbar.

Ratzingers Denkfigur empfiehlt dem Missbrauchstäter letztlich nicht die Therapie, sondern die religiöse Übung. Mit Gesundbeten wird man dieses Phänomen aber nicht besiegen.

Foto: apa/Matthias Schrader

Und jetzt hat er es wieder getan - wieder hat er am Missbrauchsthema herumlaviert. Knapp vor seiner Abreise nach Castel Gandolfo sandte Benedikt XVI. noch eine Videobotschaft nach Dublin, wo natürlich das Thema Missbrauch nicht ausgeklammert werden konnte. Verzweifelt fragt der Papst: "Wie sollen wir es uns erklären, dass Personen, die regelmäßig den Leib des Herrn empfingen und im Bußsakrament ihre Sünden anklagten, auf solche Weise gefehlt haben?" Seine Antwort: "Es bleibt ein Geheimnis."

Natürlich kann man bei jedem Verbrechen darüber sinnieren, warum es das Böse in der Welt überhaupt gibt. Diese (bis dato freilich nicht beantwortete) Frage darf aber nicht dazu verwendet werden, der eigentlichen Frage auszuweichen. Die lautet: Wird genug dagegen unternommen?

Irritierend für katholische Ohren ist auch die Begriffsverwendung: Geheimnis! In seinem englischsprachigen Brief verwendet Benedikt denselben Begriff (mystery) nicht nur für das Verbrechen des Missbrauchs, sondern auch für das "Geheimnis der Kirche als Gemeinschaft mit dem Herrn" und für die "innere Höhe des Geheimnisses" in der Liturgie. Das Mysterium des Missbrauchs bekommt so schrecklicherweise eine sakrale Note. Am besten antwortet man mit einem Ratzinger-Zitat aus der "Einführung in das Christentum" (1968): "Wenn die Theologie zu allerlei Ungereimtheiten kommt und sie mit dem Verweis auf das Mysterium nicht nur entschuldigen, sondern womöglich kanonisieren will, liegt ein Missbrauch der wahren Idee des 'Mysteriums' vor."

Aber der Papst kann es noch schlechter. Er möchte dem Geheimnis des Missbrauchs doch ein wenig auf den Grund gehen und kommt bezüglich der Täter zu folgendem Schluss: "Aber offensichtlich war ihr Christsein nicht mehr erfüllt von der freudigen Berührung mit Jesus Christus, sondern nur ein System von Gewohnheiten." Diese Denkfigur hat Benedikt schon mehrfach strapaziert. Ein bisschen Glaubensabfall - und schon wird man zum Missbrauchstäter!

Die Wiederholung solcher Thesen macht sie nicht richtiger. Diese Denkfigur ist aber nicht nur falsch, sondern auch gefährlich: Sie empfiehlt letztlich einem potenziellen Täter nicht die Therapie, sondern die religiöse Übung. Mit Gesundbeten wird man dieses Verbrechen aber nicht besiegen.

Schon die junge Kirche war sich der Diskrepanz zwischen Glaube und Tat bewusst, wie schon der junge Ratzinger 1958 herausarbeitete. Denn einerseits "musste man sich unter schweren Kämpfen immer mehr zu der Erkenntnis durchringen, dass auch der Bekehrte, der Christ, ein Sünder bleibt und dass selbst die schwersten Vergehen in der christlichen Gemeinschaft möglich sein werden". (Wie prophetisch!)

Andererseits war man der Meinung, Kirche sei "eine Gemeinschaft von Überzeugten, von Menschen, die eine bestimmte geistige Entscheidung auf sich genommen hatten und sich dadurch von all denen abhoben, die sich dieser Entscheidung verweigerten".

Vielleicht sind wir hier bei der Wurzel des Vertuschungssystems angekommen. Vielleicht steckt hier dieses "Überheblichkeits-Gen", das den Verbrecher zum besseren Verbrecher macht, wenn er nur ein gläubiger Christ ist. Damit gilt es glaubwürdig aufzuräumen.

So richtig ambitioniert wird das Thema allerdings nicht verfolgt. Kürzlich machte der Vatikan darauf aufmerksam, dass gut die Hälfte der Diözesen weltweit noch nicht die von Rom geforderten Richtlinien zur Verhinderung von Missbrauch erlassen hat. Daher wurden - ganz zum Schulschluss passend - Mahnbriefe verschickt. Vielleicht wäre hier die richtige Gelegenheit für die sonst oft so überzogene römische Strenge und sollten jene Bischofskonferenzen abberufen werden, die in dieser wichtigen Frage säumig sind.

PS: Churchwatch-Sommerpause: Es liegt zwar keine Einladung nach Castel Gandolfo vor, Churchwatch legt aber trotzdem eine Pause ein. Den nächsten Blog gibt es am 3. September.

PPS: Im Übrigen bin ich der Meinung, dass die Verantwortung der Päpste und des Vatikans am internationalen Missbrauchsskandal geklärt werden muss. Der derzeitige Papst hat bisher lediglich zur Schuld einzelner Priester und Bischöfe Stellung genommen. Zu den Vorgängen innerhalb der vatikanischen Mauern fand er kein Wort. Benedikts beharrliches Schweigen dazu macht ihn als Papst unglaubwürdig. (Wolfgang Bergmann, derStandard.at, 30.7.2012)