Bild nicht mehr verfügbar.

Scharfschütze der "Free Syrian Army" in Aleppo

Foto: REUTERS/Obeida Al Naimi

New York/Damaskus  - Rund 200.000 Menschen sind nach Schätzungen von Rotem Kreuz und Rotem Halbmond in den vergangenen Tagen vor den schweren Kämpfe aus der syrischen Wirtschaftsmetropole Aleppo geflohen. Aber noch viele der knapp zwei Millionen Einwohner dürften sich in der Stadt aufhalten. "Niemand weiß, wie viele Menschen an Orten gefangen sind, an denen die Kämpfe weitergehen", erklärte die UNO-Nothilfekoordinatorin Valerie Amos am Sonntag in New York. Sie forderte die Truppen des Regimes von Präsident Bashar al-Assad und die Aufständischen auf, Zivilisten zu verschonen und Helfern sicheren Zugang zu gewähren.

Die Regierungstruppen hatten am Wochenende eine Offensive gegen die Aufständischen in Aleppo begonnen. Unterstützt von Kampfflugzeugen, Hubschraubern und schwerer Artillerie rückten Panzer und Soldaten gegen Stellungen der oppositionellen Freien Syrischen Armee (FSA) vor. Die Syrischen Menschenrechtsbeobachter in London sprachen von den schwersten Kämpfen seit Beginn der Revolte gegen Assad im März 2011. Größere Gebietsgewinne blieben bis zum Sonntag aber aus. 

Kämpfe in Aleppo gehen weiter

Auch am Montag ist in Aleppo weitergekämpft worden. Vor allem werde das südwestliche Viertel Salaheddin, wichtigster Stützpunkt der oppositionellen Freien Syrischen Armee, bombardiert, teilten Rebellen in der Region mit. Nach Angaben der Syrische Beobachtungsstelle für Menschenrechte in London beschossen die Aufständischen ihrerseits ein Gebäude des Geheimdiensts der syrischen Luftwaffe im Stadtteil Al-Sahira.

Aus Kreisen syrischer Sicherheitskräfte in der Hauptstadt Damaskus hieß es, ein Teil von Salaheddin sei unter die Kontrolle der Armee gebracht worden. Die Rebellen in der Stadt wiesen die Angeben zurück. Die Armee sei "nicht einen Meter" vorgerückt, sagte einer ihrer Anführer telefonisch der Nachrichtenagentur AFP. "Wir haben einen neuen Angriff auf Salaheddin in der Nacht zurückgeschlagen und vier Panzer zerstört", fügte er hinzu.

Iran unterstützt Assad weiterhin

Das syrische Regime zeigte sich zuversichtlich, die Rebellen zu vertreiben. "Sie wurden in Damaskus besiegt und sie werden in Aleppo besiegt werden", sagte der syrische Außenminister Walid al-Muallem am Sonntag bei einem Besuch in der iranischen Hauptstadt Teheran. Zugleich sprach er von einer globalen Verschwörung gegen sein Land, mit Israel als "Drahtzieher und führendem Provokateur".

Der iranische Außenminister Ali Akbar Salehi pflichtete seinem Gast bei. Die ausländischen Unterstützer der Rebellen, darunter Saudi-Arabien, Katar und die Türkei, sollten nicht naiv sein und glauben, dass ein Regimewechsel in Syrien einfach zu erreichen sei. Der Iran ist der treueste Unterstützer des Assad-Regimes.

Arabische Liga spricht von Kriegsverbrechen

Der Generalsekretär der Arabischen Liga, Nabil al-Arabi, bezeichnete das Blutvergießen in Syrien als Kriegsverbrechen. "Was in Syrien stattfindet, vor allem in der Stadt Aleppo, ist gleichbedeutend mit Kriegsverbrechen", zitierte ihn die ägyptische Nachrichtenagentur Mena.

Landesweit kamen am Sonntag nach Angaben von Aktivisten in Syrien 95 Menschen ums Leben, die meisten von ihnen in Aleppo, den Vororten von Damaskus und in der südlichen Provinz Deraa, wo in der Ortschaft Sheikh Meskin mindestens 30 Menschen niedergemetzelt worden sein sollen. Ihre Leichen seien verbrannt worden, berichteten Aktivisten. Eine unabhängige Überprüfung der Angaben war nicht möglich.

Opposition will Übergangsregierung

Unterdessen kündigte der oppositionelle Syrische Nationalrat Gespräche zur Bildung einer Übergangsregierung an. Ein erstes Treffen sei für diesen Dienstag in Kairo geplant, sagte Nationalratsmitglied Halit Hoca der Deutschen Presse-Agentur (dpa) in Istanbul. Ziel sei es, außerhalb Syriens eine Regierung zu bilden in Opposition zum Assad-Regime.

Die Regimetruppen griffen die FSA-Stellungen das ganze Wochenende über in mehreren Bezirken Aleppos an. Dabei kamen auch Raketenwerfer und von Hubschraubern abgesetzte Luftlandetruppen zum Einsatz. Das staatliche syrische Fernsehen sprach von einer großangelegten "Operation zur Säuberung Aleppos von bewaffneten terroristischen Gruppen".

Panetta: Regime neigt sich Ende zu

FSA-Kommandos waren vor etwas mehr als einer Woche erstmals in Aleppo eingerückt. Die Geschäftsmetropole im Norden Syriens ist nur 50 Kilometer von der türkischen Grenze entfernt. Die Aufständischen hatten mehrere Stadtbezirke, aber auch das Gebiet bis zur türkischen Grenze unter ihre Kontrolle gebracht. Wegen der strategischen Bedeutung der Großstadt liegt dem Regime in Damaskus viel daran, die Rebellen von dort zu vertreiben. In den vergangenen Tagen hatte es Tausende Soldaten aus anderen Landesteilen zusammengezogen und vor Aleppo in Stellung gebracht.

Die Angriffe auf Aleppo sind nach Einschätzung des US-Verteidigungsministers Leon Panetta der Sargnagel für die Regierung des syrischen Machthabers Bashar al-Assad. "Was Assad seinem eigenen Volk angetan hat und weiter antut, macht der Bevölkerung klar, dass sich sein Regime dem Ende zuneigt", sagte Panetta am Sonntag in Tunesien zum Beginn seiner Reise durch den Nahen Osten und Nordafrika. "Ich denke, es wird letztlich Assads Sargnagel sein." Panetta wiederholte seine Forderung an die internationale Gemeinschaft, gemeinsam die Regierung von Assad abzusetzen, nannte jedoch keine neuen Schritte der USA. (APA/Reuters, 30.7.2012)