Salzburg - "1996 / Gustav Mahler Jugendorchester / Schönberg / Gurre-Lieder" bringt das Archiv der Festspiele in Erinnerung. Nun hat Claudio Abbado also sein Salzburger-Festspiel-Comeback gefeiert: am Pult des Orchestra Mozart Bologna mit Mozarts Waisenhaus- und Schuberts Es-Dur-Messe im Haus für Mozart.

Abbado hat in beiden Werken dazu eingeladen, ihm quasi über die Schulter zu schauen. Er hat die Partituren mit gemäßigtem Tempo und Zurückhaltung in der Lautstärke bis in die einzelnen Chor- und Orchesterstimmen hinein transparent und durchhörbar gemacht. Das Orchester Mozart Bologna hat ebenso kundig, wendig und klangschön auf feinste Anregungen Abbados reagiert wie der Arnold Schoenberg Chor, der ein wenig abgeschatteter im Gesamtklang wirkte als gewohnt.

Mit größter Zurückhaltung also hat der 1933 in Mailand geborene frühere Generalmusikdirektor der Stadt Wien und Wien-Modern-Gründer sich in den Dienst der beiden Sakralwerke gestellt. Die groß besetzte Messe c-Moll KV 139 des erst zwölfjährigen Mozart verblüfft immer wieder mit ihren schier modernen Modulationen und will in ihrer Dramatik so gar nicht den Bildern entsprechen, die der Titel Waisenhausmesse (geschrieben 1768 in Wien für die Eröffnung des Waisenhauses am Rennweg) weckt. Allein der düstere Bläser-Satz, der das Crucifixus einleitet, kam in dieser Lesart daher wie die Filmmusik für ein Mittelalterepos.

Auch die Messe Es-Dur D 950 von Franz Schubert ist inhaltlich keine "g' mahte Wiesen", verkündet nicht jubelblind abstrakte Dogmen. Dass Schubert zentrale Stellen im Credo (etwa das Bekenntnis zur einen heiligen katholisch-apostolischen Kirche) nicht vertont hat, ist dabei das Wenigste. Die Zweifel liegen tiefer, die Abgründe lassen auch in der Sakralkomposition auf Menschenqual blicken. Den Cum-Sancto-spiritu- und sonstigen Chorfugen etwa hätte stärker zupackender Drive zwar gut getan. Doch Claudio Abbado hat mit seiner klassischen - auch die Abgründe vergoldenden - Interpretation zum aufmerksamsten Zuhören angeregt. Eine packende und berührende Wiederbegegnung.  (Heidemarie Klabacher, DER STANDARD, 30.7.2012)