Wie viel Ungleichheit ist akzeptabel? Den Standards vor der Rezession entsprechend eine ganze Menge. Peter Mandelson von New Labour gibt den Geist der letzten 30 Jahre wieder, wenn er bemerkt, angesichts dessen, dass Menschen "stinkreich" werden, fühle er sich enorm "entspannt". Reich zu werden war alles, worum es in der "New Economy" ging. Die neuen Reichen behielten immer mehr von dem, was sie bekamen, da die Steuern gesenkt wurden.

Das Ergebnis war vorhersehbar. 1970 war das Einkommen vor Steuern eines hohen Vorstandschefs in den USA etwa 30-mal höher als das eines durchschnittlichen Arbeiters; heute ist es 263-mal höher. In Großbritannien betrug 1970 das Grundeinkommen (ohne Bonus) eines Top-Verdieners das 47-Fache eines Arbeiters, 2010 das 81-Fache. Obwohl manche Länder dem Trend nicht gefolgt sind, ist die Ungleichheit in diesen Jahren weltweit gestiegen.

Die Verteidiger des Kapitalismus lassen sich von der wachsenden Ungleichheit nicht beeindrucken. In einem wettbewerbsorientierten Marktsystem verdienen Menschen angeblich so viel, wie sie wert sind: Also sind Vorstandschefs für die US-Wirtschaft 263-mal so viel wert wie die Arbeiter, die sie einstellen. Aber den Armen, so wird behauptet, geht es immer noch besser, als es ihnen ginge, wenn die Unterschiede durch Gewerkschaften oder Regierungen künstlich verkleinert worden wären. Die einzige sichere Methode, Wohlstand schneller "nach unten durchsickern" zu lassen, bestünde in Senkungen der Grenzsteuersätze oder in der Verbesserung des "Humankapitals" der Armen, um ihren Wert für ihre Arbeitgeber zu steigern.

In der Vergangenheit wurden Einkommensunterschiede im Hinblick darauf bestimmt, was fair und vernünftig erschien. Je mehr Wissen, Fähigkeiten und Verantwortung die Arbeit verlangte, desto höher war die akzeptable und akzeptierte Entlohnung. Aber all dies fand innerhalb von Grenzen statt, in denen eine gewisse Verbindung zwischen denen an der Spitze und denen unten beibehalten wurde.

Ursache für die heutigen unberechtigten Methoden der Einkommensgestaltung ist der Zusammenbruch nicht-wirtschaftlicher, allgemeingültiger Arten der Wertschätzung menschlicher Aktivitäten und dessen Auswirkungen auf den sozialen Zusammenhang.

Keinen Unterschied zwischen Preis und Wert zu machen hat eine selten beachtete Konsequenz: Der einzige Grund, der den meisten Menschen zur Steigerung ihres Einkommens angeboten wird, ist das Wirtschaftswachstum. In armen Ländern ist dies vernünftig - es ist nicht genug Wohlstand da, um ihn zu verteilen. In Industrieländern aber ist diese Beschränkung eine ineffektive Methode, da dies bedeutet, dass eine Volkswirtschaft um beispielsweise drei Prozent wachsen muss, um die Löhne der Mehrheit um vielleicht ein Prozent zu erhöhen.

Die Gleichgültigkeit gegenüber der Einkommensverteilung ist ein Rezept für endloses Wirtschaftswachstum, von dem die Reichen gegenüber dem Rest immer stärker profitieren. Aus moralischen und sogar praktischen Gründen kann dies nur falsch sein. Moralisch argumentiert, wird dadurch für die meisten Menschen die Möglichkeit eines guten Lebens immer unerreichbarer. Und praktisch zerstört dieser Weg den sozialen Zusammenhalt, der letztlich die Grundlage von Demokratie ist - und die einer friedlichen, zufriedenen Gesellschaft.

Robert Skidelsky ist Mitglied des britischen Oberhauses und emeritierter Professor für Volkswirtschaftslehre an der Universität Warwick. (Robert Skidelsky, DER STANDARD, 28./29.7.2012, ©Project Syndicate, 2012. Aus dem Englischen von Harald Eckhoff)