"So ein blanker Hass ist mir wirklich selten untergekommen": Asien-Experte Ulrich Delius.

Foto: Hanno Schedler, GfbV

Die muslimische Minderheit der Rohingya wird in Burma seit Jahrzehnten ausgegrenzt und angefeindet. Nach einem Zwischenfall vor einigen Wochen ist der Konflikt eskaliert, bei Ausschreitungen zwischen den Rohingya und den im Land dominierenden Buddhisten wurden seitdem dutzende Menschen getötet, zahlreiche verletzt und zehntausende obdachlos. Im Interview mit derStandard.at spricht Asien-Experte Ulrich Delius über die historischen Hintergründe des Konflikts, die zweifelhafte Rolle der internationalen Staatengemeinschaft und die nahezu hoffnungslose Situation der Rohingya.

derStandard.at: Die Rohingya wurden von der UNO als die am meisten verfolgte Minderheit der Welt eingestuft. Über die genaue Ursache wird aber gerätselt. Haben Sie eine Erklärung?

Delius: Wir haben es hier zunächst einmal mit einer klassischen Minderheiten-Mehrheiten-Problematik zu tun. Burma ist ein buddhistisch dominierter Vielvölkerstaat, und es tut sich seit vier Jahrzehnten schwer, die muslimischen Rohingya zu akzeptieren. Die Birmanen, die größte Ethnie in Burma, sagen, dass die Rohingya gar keine ethnische Gruppe sind. Für sie sind das einfach Migranten aus den Bengalen. Man versucht das also als ein Problem der Migration und der mangelnden Grenzkontrollen zu Bangladesch abzutun.

derStandard.at: Ist das etwas Einmaliges?

Delius: Das ist ein typischer Effekt, wie ihn die Roma in Europa erleben oder zum Teil früher auch die Juden: Wir sind die Mehrheit, wir sind die Bevölkerung dieses Landes, und wir erkennen euch nicht an. Das ist blanker Rassismus, und der ist auch noch populär und mehrheitsfähig. Und das ist auch das große Problem für Politiker, die etwas ändern wollen.

Aung Suu Kyi beispielsweise hat immer genau im Auge, wie sie von der Mehrheit der Bevölkerung wahrgenommen wird. Und sie hat es bisher nicht gewagt, sich in der Rohingya-Frage weiter vorzuwagen.

derStandard.at: Jeder Politiker, der sich auf die Seite der Rohingya stellt, muss also automatisch mit einem starken Popularitätsverlust rechnen?

Delius: Auf jeden Fall. Das nimmt mitunter skurrile Züge an, wenn man sich die oppositionelle Exilbewegung ansieht, bei der man mal davon ausgeht, dass sie sich für mehr Demokratie und Menschenrechte einsetzt. Aber auch da ist der Status der Rohingya extrem umstritten, es gibt dort ebenfalls eine starke Strömung, die sagt, dass das keine ethnische Gruppe ist. Demnach dürfen sie keine Rechte bekommen. Es geht nur darum, sie so bald wie möglich dahin zurückzuschicken, wo sie hergekommen sind.

derStandard.at: Aung Suu Kyi hat vergangene Woche in ihrer ersten Parlamentsrede den Schutz ethnischer Minderheiten gefordert.

Delius: Aber sie hat die Rohingya nicht beim Namen genannt. Und dann gibt es wieder das Problem, dass sie nicht als ethnische Minderheit wahrgenommen werden.

derStandard.at: Sind die Rohingya überhaupt politisch vertreten?

Delius: Ja. Es gibt mehr als ein Dutzend von Parteien und Bewegungen im In- und Ausland. Sie setzen sich für die Rechte der Rohingya ein, sie können aber nicht unter dem Titel "Rohingya" agieren. Das würden die Behörden nicht anerkennen.

derStandard.at: Das klingt so, als wäre das ein Schimpfwort.

Delius: Wenn man das Wort "Rohingya" erwähnt, dann ist man schon entlarvt als jemand, der sich für die Menschenrechte der Rohingya einsetzt. Besonders erschreckend sind jetzt diese Auswüchse in den neuen sozialen Medien, die aufgrund der nun entstandenen Medienfreiheit in Burma möglich geworden sind. Personen, die sich für die Rohingya einsetzen, werden im Internet grob diffamiert als Hundesöhne oder Untermenschen. So ein blanker Hass ist mir wirklich selten untergekommen.

derStandard.at: Sie waren schon mehrere Male in Burma. Was für Zustände haben Sie in der Krisenregion Rakhine vorgefunden?

Delius: Die Rohingya haben dort keine Bürgerrechte. Das bedeutet, sie können nicht einfach heiraten, sie müssen zuerst eine Erlaubnis von den Behörden einholen. Das ist sehr, sehr schwierig, auch wenn man Schmiergelder zahlt. Haben die Ehepartner diese Hürde genommen, müssen sie sich verpflichten, maximal zwei Kinder zu bekommen. Wenn sie sich nicht daran halten, drohen Haftstrafen bis zu fünf, sechs Jahren.

Sie können auch nicht frei ihre Dörfer verlassen, auch dafür benötigen sie eine Genehmigung. Sie erhalten keine Ausweispapiere, können sich daher im Land nicht frei bewegen, und eine Reise ins Ausland ist legal nicht möglich. Sie haben auch keine Chance auf eine Anstellung im öffentlichen Dienst, gleichzeitig leiden sie aber immer noch unter Zwangsarbeit, die in weiten Teilen Burmas eigentlich schon abgeschafft wurde. Sie haben also einen Status von staatenlosem Freiwild.

derStandard.at: Eine gemischte Hochzeit zwischen Rohingya und Birmanen wird es dann vermutlich nicht geben.

Delius: So ein Paar ist mir auf jeden Fall nicht untergekommen. Ein Grundproblem hier ist ja mangelnde Kommunikation. Die ethnischen Gruppen wissen voneinander einfach zu wenig, deshalb kommt es auch zur Ausgrenzung. Die Rohingya fallen zudem im Alltag durch ihre Kleidung, durch ihre Sprache, durch ihre Kultur im Allgemeinen auf, so dass sie da schnell ausgegrenzt werden.

derStandard.at: Wie sieht es mit der Infrastruktur in Rakhine aus?

Delius: Die Situation ist in Burma prinzipiell sehr schwierig, in Rakhine ist das noch eine Spur schlimmer. Ein paar Zahlen, um das zu verdeutlichen: Im nördlichen Bezirk von Rakhine werden 280.000 Menschen von zwei Ärzten betreut, im südlichen Bezirk kommen auf 430.000 Menschen drei Ärzte. Die Sterblichkeitsrate ist dort zwei- bis dreimal höher, und die Analphabetenrate unter den Rohingya liegt bei etwa 80 Prozent. Viele Kinder haben Schwierigkeiten, überhaupt die Schule besuchen zu dürfen.

derStandard.at: Welche NGOs sind vor Ort tätig?

Delius: In dieser Region zu helfen ist sehr schwierig, deshalb sind dort nicht viele NGOs vor Ort. Die Malteser-Nothilfe etwa ist dort sehr aktiv.

derStandard.at: Wo liegt da genau das Problem?

Delius: Unter den Mitarbeitern sind auch Rohingya und Buddhisten, die untereinander verfeindet sind. Man muss bei der Planung jedes Projekts also sehr behutsam vorgehen, damit es unter den Helfern nicht zu Ärger kommt. Oder damit die Leute, denen geholfen werden soll, nicht die Unterstützung ablehnen, weil die Helfer einer anderen Ethnie angehören, denen man dann vorwirft, das Essen zu vergiften.

derStandard.at: Die aktuellen Unruhen sind dann nur die logische Konsequenz dieses feindseligen Klimas.

Delius: Natürlich. Drei Rohingya-Männer haben anscheinend eine buddhistische Frau getötet. Sie wurden zum Tode verurteilt, und die Unruhen gingen los. Sie wurden sogar so massiv, dass die Behörden eingegriffen haben. Natürlich aufseiten der Buddhisten.

derStandard.at: Gab es bereits früher Unruhen ähnlichen Ausmaßes?

Delius: Es gab Ende der 1970er Jahre und Anfang der 1990er Jahre zwei große Fluchtwellen. Dem vorausgegangen sind umfangreiche Verfolgungsaktionen gegen die Rohingya, die vom Staat ausgegangen sind.

derStandard.at: Hat da der Staat allein agiert?

Delius: Nein, da haben Teile der buddhistischen Bevölkerung immer mitgemacht.

derStandard.at: Kam es denn nie zu einer Annäherung?

Delius: Es ist chronologisch betrachtet eher schlimmer geworden. In den 1940er Jahren hat die Ausgrenzung begonnen, in den 1960er und 1970er Jahren wurde sie perfektioniert, und im Jahr 1982 wurde durch das Staatsbürgerschaftsgesetz die legale Basis geschaffen, um den Rohingya die Staatsbürgerschaft zu verweigern.

Wenn Aung Suu Kyi sagt, es muss auch in Rakhine zur Herrschaft des Rechts kommen, dann ist das eine sehr zwiespältige Aussage. Denn vom Gesetz her ist das ja alles legal.

derStandard.at: Wo sollen die Rohingya denn hin?

Delius: Das ist die Frage, die sich die Rohingya auch stellen. Denn keiner will sie. Im Nachbarstaat Bangladesch ist die Politik total gekippt. In den 1970er und 1980er Jahren wurden die Rohingya noch großzügig aufgenommen, heute werden sie an der Grenze inhaftiert und dann zurückgeschickt, oder sie werden gleich zurückgeschickt. Auch Thailand schickt sie wieder auf das Meer zurück. Selbst in muslimischen Ländern wie Malaysia oder Indonesien haben sie große Schwierigkeiten, Flüchtlingsstatus zu erhalten.

derStandard.at: Wie verhält sich die internationale Gemeinschaft in diesem Konflikt?

Delius: Die kritischen Stimmen werden mehr. Viele sagen, dass dieser Konflikt die Demokratisierung des Landes ernsthaft gefährden könne. Das UNO-Flüchtlingskommissariat UNHCR ist da sehr deutlich in seiner Kritik, und nun wächst auch in einigen muslimischen Staaten der Druck, sich kritisch zu äußern. Das führt zwar zu solchen Absurditäten, dass die Taliban in Pakistan ihre Männer mobilisieren. Die versuchen, dieses Thema für sich zu nutzen. Oder der Iran, der 2009 sein Herz für die Uiguren in China entdeckt hat und nun halt eben für die Rohingya. Das ist teilweise eine sehr seltsame Entwicklung, aber insgesamt zeigt es, dass dieses Thema auch in der muslimischen Welt immer wichtiger wird.

Auch die Islamische Konferenz ist aktiv, die ASEAN (Verband südostasiatischer Staaten, Anm.) hat auf Druck von Indonesien nun gefordert, dass Burma sich zu diesem Thema offiziell äußern soll.

derStandard.at: Wie sieht es mit den westlichen Staaten aus?

Delius: Da sind momentan alle darauf fixiert, möglichst schnell möglichst viel in Burma zu investieren, um das Land aus dem chinesischen Zangengriff zu lösen und selbst von den dortigen Reservoirs an Rohstoffen zu profiteren. Das verhindert, dass das Thema Rohingya höher gehängt wird. Deshalb gibt es auch keine einheitliche Position der EU. Die hat Anfang Juni die burmesische Führung sogar noch gelobt, wie zurückhaltend sie in diesem Konflikt agiert. Dabei hat sie eindeutig Partei ergriffen.

derStandard.at: Für die Rohingya sieht es also weiterhin düster aus?

Delius: In Burma selbst sind sie nicht in der Lage, diesen populären Diskurs zu überwinden. Es braucht großen Druck aus dem Ausland, vor allem von der ASEAN.

derStandard.at: Wie sieht es mit den USA aus?

Delius: Außenministerin Hillary Clinton äußert sich natürlich dazu. Aber im gleichen Atemzug sagt sie auch, dass US-Erdölkonzerne ins Land gelassen werden sollen. Das ist das Problem bei der internationalen Staatengemeinschaft: Solange es in diesem Konflikt nicht weiter eskaliert, wird es zu keinen Sanktionen kommen, weil die Wirtschaftsinteressen wichtiger sind. Die einzige Hoffnung ist die ASEAN, wenn die Nachbarstaaten Burmas den Druck erhöhen. Da hat sich in den letzten Wochen schon einiges getan. Es gab da viele kritische Stimmen, vor allem von hochrangigen Politikern in Indonesien. Das ist so ein kleiner Hoffnungsschimmer. (Kim Son Hoang, derStandard.at, 30.7.2012)