Pauline Knof (Prinzessin Natalie von Oranien, Nichte des Kurfürsten) und Andrea Clausen als Kurfürstin in Kleists "Der Prinz von Homburg" in der Regie von Andrea Breth.

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 Ein Porträt der Burgschauspielerin.

Salzburg - Noch nie, sagt Andrea Clausen, habe sie jemanden dargestellt, den sie überhaupt nicht mag; im Gegenteil, zu jeder Figur entwickle sie eine Art von Zuneigung, ja sogar Liebe: "Denn als Schauspielerin muss man diese Figur ja auch verwalten, ihre Seele verständlich machen, und sei sie auch noch so böse."

Es sind die Widersprüchlichkeiten der Figuren, ihre Verletztheiten, Schrunden und Schrammen, ihre Sehnsüchte, Ängste und Abgründe, die sie interessieren: "Wenn ich mich an etwas festgebissen habe und es mir nicht gelingt, mich wieder davon zu lösen, dann plage ich mich, Plagen gehört dazu. Aber grundsätzlich liebe ich die Proben sehr, das Entdecken, gemeinsam mit den anderen."

Der präzisen Spracharbeiterin und Tiefenforscherin Andrea Breth, in deren Regie sie bei den Salzburger Festspielen die Kurfürstin in Heinrich von Kleists Prinz Friedrich von Homburg spielt, fühlt sich Clausen besonders nahe.

"Ich habe mit Andrea Breth schon Kleists Käthchen von Heilbronn und den Zerbrochnen Krug gemacht. Doch diese Arbeit jetzt ist wieder eine ganz andere Erfahrung, sie erfordert höchste Konzentration von uns allen. Persönliche Befindlichkeiten haben hier nichts zu suchen, es geht ausschließlich um die kristallkare Gedanken- und Gefühlswelt Kleists."

Ihn, seine hochkomplizierte Sprache, sein politisches Stück gelte es, sinnlich erfahr- und verstehbar zu machen. "Theater hat etwas mit Erkennen zu tun. Und Andrea Breth ist eine unglaubliche Menschenguckerin. Ich vertraue ihr zutiefst. Ihre Risikobereitschaft, ihre Besessenheit und ihre Unbestechlichkeit sind unvergleichlich. Sie kann angstfrei zuschauen und lässt einem Raum und Zeit zum Entwickeln."

In Bochum, bei ihrer ersten gemeinsamen Arbeit Ende der 1980er-Jahre, ermunterte Breth die junge Schauspielerin mit der sehr kurzen Regieanweisung: "Du hast Zeit." Es sei, erinnerte sich Clausen später, wie eine Erlösung gewesen: "Ich musste nicht alles gleich beweisen." Clausen folgte der Regiemeisterin damals ans Wiener Burgtheater, zog mit ihr weiter an die Berliner Schaubühne und kehrte schließlich mit Breth an die Burg zurück.

Über die Jahre hat sich Clausen einen beachtlichen Figurenfundus erarbeitet; disparate und desperate Charaktere, Grenzgänger, Gratwanderer. Figuren, die es von der Sonnenseite des Lebens in abgründige Welten verschlägt.

Wie aus dem Nichts gespült etwa Monique in Koltès' Quai West (Regie: Breth) oder Helen in Simon Stevens Motortown oder, ebenfalls von Stevens, zuletzt an der Burg Lisa in Wastwater. Zu ihren Lieblingsrollen zählen Ibsens Nora (Regie: Karin Henkel); Goneril, die durchtriebene Tochter von König Lear, inszeniert von ihrem anderen Lieblingsregisseur, Luc Bondy; die Gutsbesitzerin in Tschechows Kirschgarten (Regie: Breth), Gräfin Orsina aus Emilia Galotti (Regie: Breth) oder Inès in "Drei Mal Leben" von Yasmina Reza (Regie: Bondy). Für diese drei letztgenannten Rollen wurde sie 2001, 2003 und 2005 für den Nestroy nominiert. 1992 erhielt sie die Kainz-Medaille, 2006 wurde die Mutter von zehnjährigen Zwillingsmädchen zur Schauspielerin des Jahres gewählt.

Zerbrechlicher Ruhm

Geboren 1959 in Oldenburg, aufgewachsen in Düsseldorf, verzog sie sich schon als Kind in den elterlichen Keller, erfand und spielte in ihrem geheimen Privattheater Geschichten, um den Alltag zu verarbeiten. Die Liebe zum Theater kam nicht von ungefähr: Tante Rosemarie Clausen war Theaterfotografin, der Vater zehn Jahre Schauspieler bei Gründgens, ehe er das Metier wechselte und Exportkaufmann wurde.

Die spielbesessene Tochter begann ihre Schauspielausbildung bei Etienne Decroux in Paris, studierte an der Folkwangschule in Essen, hatte ihr erstes Engagement am Staatstheater in Oldenburg, wurde von Intendant Jürgen Flimm ans Schauspiel Köln geholt und landete schließlich 1986 am Schauspielhaus Bochum.

Hier spielte sie mitunter neun Stücke gleichzeitig, brannte an beiden Enden lichterloh. "Schauspielerei ist ein wunderschöner Beruf. Aber er ist hart", sagt sie. "Du musst mit dir freundlich sein, das kann ich besser als früher. Ich zwinge mich zu Gelassenheit, dann auch mal den Text nicht mehr anzuschauen, sondern mir zu sagen: Na, lass mal los." " Ja", wiederholt sie nachdenklich, "loslassen ist das Wichtigste. Wenn man ein geordnetes Privatleben hat, dann ist einem schon sehr geholfen. Ohne Familie wäre ich, so wie ich veranlagt bin, sicherlich einer von diesen Menschen, die schneller verpuffen."

Auf einem Filmfest lernte sie ihren späteren Mann und Vater ihrer Kinder, den Künstler Helmut Pokornig, kennen. Dass sie berühmter ist als er, ist im Hause Clausen-Pokornig kein Thema, "als Künstler weiß er ja, dass Ruhm sehr zerbrechlich ist".

Allzu liebessüchtig sollte man in diesem Beruf sowieso nicht sein. "Ein bisschen geliebt werden will jeder. Aber man muss einstecken können und immer der Sache dienen. Wer von allen Liebe erwartet, muss zwangsläufig enttäuscht werden. Sicherlich ist es schön, wenn man auf der Bühne verführen kann. Aber es geht um Tiefe, nicht um Effekte. Menschen, die geliebt werden wollen, riskieren nichts. Aber man muss viel riskieren, auch auf die Gefahr hin, danebenzuhauen. Man sollte lieber sich selber ein bisschen lieben. Dann hat man mehr Kraft." Sie lächelt: "Die Liebe, die gilt es in einem selbst zu entwickeln."    (Andrea Schurian, DER STANDARD, 28./29.7.2012)