Andere Länder, andere Wickel. Doch selbst angesichts der drohenden Verkehrsprobleme und des für die nächsten Tage angesagten Schlechtwetters in London - wer wünschte sich nach Peking zurückversetzt? Zwei Olympiastädte, kein Vergleich. Auch vor vier Jahren war bei der Eröffnung eine gewisse Regenwahrscheinlichkeit gegeben, doch die Chinesen schossen Raketen mit Silberiodid in die Wolken, auf dass es trocken blieb. Das dürften sich die Briten sparen, sie haben im Vorfeld auch weder zwangsenteignet noch Demonstranten eingesperrt.

Dass Zöllner, Busfahrer und Bahnbedienstete die Olympischen Spiele als Druckmittel nützten und ihre Arbeit niederlegen wollten, mag den Organisatoren wehgetan und die Steuerzahler einiges gekostet haben. Blöd wären die Gewerkschaften gewesen, hätten sie nicht vor der heutigen Eröffnung, sondern erst nach der Schlussfeier am 12. August mit Streik gedroht. Doch selbst wenn auf den Flughäfen oder im Londoner Straßenverkehr das Chaos ausgebrochen oder, sagen wir, noch getoppt worden wäre - man hätte das lieber in Kauf genommen als die vor vier Jahren von Peking verordnete Zensur nicht weniger Internet-Seiten.

Was bleibt von einem sportlichen Großereignis? Alles dreht sich um die Nachhaltigkeit. Von den Spielen 2008 hatten sich einerseits die Olympier mit IOC-Chef Jacques Rogge an der Spitze eine Öffnung Chinas versprochen - und sich damit in den Sack gelogen. Die Menschenrechtslage in China hat sich seit 2008 nicht verbessert, eher im Gegenteil, der gigantische Sicherheitsapparat ist weiter angewachsen. Und was aus Pekings Ankündigung wurde, die Olympiastätten einer breiten Öffentlichkeit zugänglich zu machen, sah man erst kürzlich in TV-Reportagen. Das berühmte Vogelnest steht weitgehend leer, der Wasserwürfel wird als Erlebnisbad kaum frequentiert und verzeichnet hohe Verluste. Andere Olympiastätten wie das Ruder- und Kanuzentrum sind praktisch dem Verfall preisgegeben.

Da steht London besser da. Hier war der bleibende Wert der Sportstätten von Anfang an oberstes Gebot. Bei jenen Anlagen, die nicht wieder abgebaut werden, weiß man mit einer Ausnahme schon seit Jahren, welcher Verein sie ab Herbst bespielen wird. Die Ausnahme ist das große Olympiastadion. Der Fußballklub West Ham würde es gern als neue Heimstätte nützen, die Entscheidung darüber wurde aber verschoben.

Ob der Bezirk Stratford im Londoner Osten auch insgesamt wirklich profitieren wird? Dazu müsste die Westfield Stratford City, die im September die SCS als größtes Shoppingcenter Europas abgelöst und 10.000 Menschen Arbeit gebracht hat, auf breite Akzeptanz stoßen. Dass dies nicht geschieht, ist die eine große Angst jener, die Olympia nach London geholt haben. Die andere Angst gilt einem möglichen Terrorakt.

Sieben Jahre liegen die Anschläge zurück, denen 52 Menschen zum Opfer fielen. Am Tag davor, am 6. Juli 2005, war Olympia 2012 an London vergeben worden. Nun sollen mehr als 18.000 britische Soldaten die Spiele schützen, nur halb so viele hat das Königreich in Afghanistan stationiert. Über einen Polizeistaat maulen da schon einige in London. Aber die halten sich nicht vor Augen, dass Peking 80.000 Sicherheitskräfte im Einsatz hatte - nicht zuletzt deshalb, um die Bevölkerung am Maulen zu hindern. (Fritz Neumann, DER STANDARD, 27.7.2012)