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Gesanglich doch noch alles gut gegangen: Adrianne Pieczonka (als Senta) und der wackere Einspringer Samuel Youn (als Holländer) bei der Eröffnungsvorstellung der Bayreuther Festspiele.

Foto: apa /epa/ BAYREUTHER FESTSPIELE/ENRICO NAWRATH

"Hier gilt's der Kunst!" Das Wagner-Zitat wirkt am Rande der Bayreuther Festspiele mitunter wie ein ironischer Fingerzeig, drohen doch rund um den Grünen Hügel mediale Aufregung und Society-Show regelmäßig die Aufführungen zu überdecken.

Routine sind die Blaulichtkolonnen rund um Kanzlerin Merkel, die aufgebauschten Neuigkeiten rund um künftige Spielpläne, die Streitereien über die Familie Wagner (und die Schwesternzwiste in ihr). Dass beinahe ein einschlägig tätowierter Sänger bei der ersten heurigen Premiere als Fliegender Holländer auf der Bühne gestanden wäre, ließ nochmals die Wogen um die Aufarbeitung der nationalsozialistischen Vergangenheit der Festspiele hochgehen; obwohl Katharina Wagner am Tag der Eröffnung nochmals bekräftigte, die fraglichen Dokumente würden der Forschung zur Verfügung gestellt, scheint noch immer vieles im Dunkeln zu liegen.

Respekt für Einspringer

Es wäre also ein dubioses Symbol gewesen, wenn Evgeny Nikitin mit seinem inzwischen durch andere Tätowierungen verdeckten Hakenkreuz ausgerechnet einen Auftritt als Gespenst gehabt hätte, das auf seine Erlösung hofft. Was immer man über den Umgang mit dem Sänger (und dessen Umgang mit seiner Vergangenheit und Affinität zum "Nordischen") denken mag, künstlerisch war er wohl nicht zu ersetzen. Aber Kunst und Politik lassen sich nun einmal nicht auseinanderdividieren - eine schmerzhafte Einsicht, die nicht nur in Bayreuth von Verharmlosungsversuchen und Überreaktionen begleitet wird.

Dem kurzfristig eingesprungenen Samuel Youn als Holländer konnte man nur Respekt zollen. Nicht weil er die Partie herausragend gestaltet hätte, sondern schlicht, da er sie wacker und klug bewältigte, ohne Schiffsbruch zu erleiden - und das nach einer Probenzeit von nur wenigen Tagen.

Der Kunst seiner Senta konnte er freilich nicht das Wasser reichen: Adrianne Pieczonka modelliert jede Phrase mit einer Souveränität, die ihresgleichen sucht, mit grenzenloser Flexibilität, lyrischer Anmut und Kraft - und vermittelt dabei noch emotionale Zustände mit einer Überzeugungskraft, die jene des Stücks (zumal in der gezeigten Form) weit hinter sich lässt. Die Zurücknahme ins Piano, die sie gerne und stupend pflegt, ist freilich nur deshalb möglich, weil die Stimmen instrumental nie ins Kreuzfeuer geraten.

Spielerische Leichtigkeit

Dafür sorgt Christian Thielemann, der Festspielorchester und -chor wie ein umsichtiger Kapitän befehligt (Letzterer kam nur dort, wo die norwegischen Matrosen Klippen und Stürme besingen, doch zweimal deutlich ins Strudeln). Wagners frühe, noch nicht ganz reife "romantische Oper" klingt zwar im Festspielhaus, für das sie nicht geschrieben wurde, anfangs etwas merkwürdig. Thielemann sorgt aber nicht nur für akustische Ausgewogenheit im Orchester, für wonnig-fulminante Stürme, die dennoch immer übersichtlich bleiben, sondern vor allem für viel spielerische Leichtigkeit, für beschwingte, lichte Phasen, die manchmal die Duftigkeit eines Mendelssohn atmen.

Im Programmheft weist Thielemann auf diese Verwandtschaft explizit hin. Dass er allerdings bei den Komponisten, die Wagner beeinflusst haben, ausgerechnet Meyerbeer verschweigt, ist eine Chuzpe, die zeigt, dass einiges aus den antisemitischen Schriften des Meisters nach wie vor manch unappetitliche Spur zeitigt.

Viel Licht gibt es auch in der Inszenierung von Jan Philipp Gloger, die dennoch flach und eindimensional bleibt wie ein Schattenspiel. Im ersten Akt ist es eine glitzernde und blitzende Datenautobahn (Bühnenbild: Christof Hetzer), in der Daland (Franz-Josef Selig) mit seinem Steuermann (Benjamin Bruns) ankommt, ebenso wie der Holländer, auch er ein moderner anzugtragender Reisender, der seinerseits nicht mit dem Schiff, sondern mit einem Rollköfferchen unterwegs ist.

Indes: Weit weniger spektakulär bebildert den zweiten Akt die triste Lagerhalle einer Fabrik für Ventilatoren, welche die Spinnerinnen summen und brummen lassen, obwohl sie sie eigentlich nur verpacken sollen.

Und: Mary (Christa Mayer) ist keine Amme, sondern eine Art Oberaufseherin, Erik (Michael König) so etwas wie der Haustechniker, der erst eine Dichtungspistole auspacken muss, bevor er Senta ein zerdrücktes Blümchen überreichen kann. Diese Träumerin flüchtet sich freilich lieber in Liebesideale, die sie mit roter Farbe auf Kartons schmiert, steckt sich später Pappflügerln an und posiert als Freiheitsstatue, um am Ende mit dem Holländer nicht in verklärter Gestalt emporzuschweben, sondern auf einem Schachtelberg in entrückter Pose zu verweilen.

Der einzige intelligente Clou folgt erst in den letzten Sekunden: Nun erzeugt die Fabrik nicht mehr Ventilatoren, sondern Figuren des Liebespaares wie aus dem Souvenirshop - in der Richard-Wagner-Stadt mit ihrer eigenen Ikonografie eine nette Ironisierung. Abgesehen davon könnte sich jede Provinzbühne glücklich schätzen, eine solche Inszenierung auf dem Spielplan zu haben.  (Daniel Ender aus Bayreuth, DER STANDARD, 27.7.2012)