Die GUADEC hinterlässt unübersehbare Spuren in A Coruña.

Foto: Andreas Proschofsky

Derzeit nur ein - ambitionierter - Vorschlag.

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Lange um den Brei herumzureden scheint nicht die Sache der EntwicklerInnen des Linux-Desktop-Projekts GNOME zu sein: Gleich in einem der ersten Talks der am Donnerstag im spanischen A Coruña gestarteten GUADEC-Konferenz ging es an das sprichwörtliche "Eingemachte". In diesem zogen die beim Softwarehersteller Igalia angestellten Entwickler Xan Lopez und Juan Jose Sanchez Bilanz über den aktuellen Stand von GNOME, und versuchten sich in Folge gleich an einer Vision für eine mögliche Zukunft des Projekts.

Stärken

GNOME habe fraglos seine Stärken, dazu gehöre neben der offenen und egalitären Entwicklungsweise auch die Stetigkeit, mit der man es schaffe seit 15 Jahren regelmäßig neue Versionen der Software zu veröffentlichen. Zudem könne man auf hervorragende Kerntechnologien zurückgreifen, und habe dank GNOME3 mittlerweile eine moderne User Experience aufzuweisen.

Probleme

Gleichzeitig sei aber unübersehbar, dass das Wachstum der gesamten Branche derzeit an ganz anderen Stellen passiere, gerade im mobilen Bereich - einst eines aktivsten Felder für GNOME-Firmen - habe man längst den Anschluss verloren. Zwar gebe es durchaus Bestrebungen GNOME wieder in dieser Richtung zu bewegen, etwa für die Touch-Nutzung zu optimieren, bisher beschränken sich diese Initiativen aber vor allem auf Design-Arbeiten oder einzelne Entwickler, die Community als Ganzes scheint hingegen noch immer stark dem klassischen Desktop verhaftet zu sein.

Vision

All dies sei nicht zuletzt Ergebnis eines zentralen Defizits: Dem Fehlen einer großen gemeinsamen Richtung und Vision für das Projekt. Nicht unbedingt leichter werde die Situation dadurch, dass mittlerweile die Unternehmensbeteiligung am Linux-Desktop als Ganzes zurückgegangen ist, womit auch die zur Verfügung stehenden Ressourcen signifikant reduziert wurden. Zudem habe dies den Effekt, dass man laufend erfahrene EntwicklerInnen verliere, die bei iOS oder Android bessere Chancen sehen.

GNOME4

Um all dem entgegen zu wirken, schlägt man also einen Plan vor, den man in Stichwörtern folgendermaßen umreißt: Mehr GNOME3 (in Form der Neugestaltung der Kernanwendungen, wie sie ohnehin gerade im Laufen ist, Anm.), mehr "Mobil" sowie die Transformierung von GNOME zu einem vollständigen Betriebssystem / einer eigenen Distribution. Der konkrete Vorschlag wäre, sich die nächsten drei Release-Zyklen ganz auf diese Unterfangen zu konzentrieren, so dass dann im März 2014 aus dem hier eigentlich vorgesehenen GNOME 3.12 ein GNOME 4 werde, das gleichzeitig auch gleich ein vollständiges GNOME OS ist.

Erklärung

Mit GNOME OS meint man natürlich kein neues Betriebssystem, sondern ein Linux-basiertes System, das allerdings über die bisherige Beschränkung von GNOME auf den Desktop hinausgeht, sich etwa auch um Installation, Systemeinrichtung und Updates kümmert. Ebenfalls für GNOME 4.0 sollte nach diesem Vorschlag eine angepasste mobile User Experience für den Desktop erstellt werden, das System so auf Tablets nutzbar werden. Zudem würde man für diesen Meilenstein eine eigene, neue Infrastruktur für Q&A und Buildbots benötigen.

SDK

Im weiteren Verlauf der GNOME4-Reihe soll dann - endlich - ein vernünftiges Software Development Kit (SDK) etabliert werden. Der nicht gerade leichte Zugang zur Entwicklung für den Linux-Desktop, wird immer wieder als eine der größen Hürden für die Beteiligung an GNOME genannt. Im weiteren Verlauf gelte es dann noch neue Vertriebs- und Supportkanäle zu etablieren, neben nativen Anwendungen sollten dabei auch Web-Apps unterstützt werden.

Geschäft

In Summe hofft man mit all dem dem Desktop nicht nur eine neue Vision zu verpassen, sondern auch gleich neue Geschäftsmodelle für die rund um GNOME tätigen - und hoffentlich auch neu dazukommende - Unternehmen zu eröffnen.

Disclaimer

Die beiden Entwickler betonen, dass es sich derzeit "nur" um ein Konzept handle, von dem man hofft, dass es in den kommenden Tagen von der Community, dem GNOME-Board und auch dem Release Team ausgiebig diskutiert - und bei Bedarf angepasst oder auch verworfen - werden wird. Immerhin sei die GUADEC genau der richtige Ort für solche großen Pläne, an der Konkretisierung man zudem gleich am Montag im Rahme ein ganztägiges Hackfest rund um GNOME OS arbeiten will.

Fazit

Die Realität zeige, dass es eigentlich nur die wirklich ambitionierten Pläne sind, die tatsächlich funktionieren, hieß es abschließend unter dem Applaus der Anwesenden. Die kommenden Tage werden wohl zeigen, ob sich die EntwicklerInnen tatsächlich auf eine solch große gemeinsame Vision einigen kann. (Andreas Proschofsky aus A Coruña, derStandard.at, 26.07.12)