London - Bei US-Politikern und Prominenten war die Empörung groß, als Mitte Juli bekannt wurde, dass die offiziellen Ralph-Lauren-Uniformen der Olympia-Starter in China gefertigt worden waren. Dies sei " beschämend", teilte der demokratische Kongressabgeordnete Steve Israel mit. Der Chef der Demokraten im Senat, Harry Reid, schäumte im US-Fernsehen, das Olympia-Komitee "solle sich schämen". Man solle "alle Outfits nehmen, sie auf einen Haufen werfen und verbrennen".
Allein: Die große patriotische Aufregung beschränkte sich auf die offiziellen Olympia-Uniformen der US-Athleten (der Standard berichtete). Denn würden tatsächlich alle in Asien gefertigten Kleidungsstücke verbannt, würden nicht nur die US-Olympioniken ziemlich bloßhapert herumlaufen.
"Fair Games?"
Der Frage, wo Sporttextilien dieser Olympischen Spiele gefertigt wurden - und unter welchen Bedingungen -, ist die Clean-Clothes-Kampagne in ihrer Studie "Fair Games?" nachgegangen.
175 Arbeiterinnen und Arbeiter von zehn Fabriken, die insgesamt 32.750 Personen beschäftigen, wurden von Oktober bis Dezember 2011 im asiatischen Raum interviewt. Acht dieser zehn Fabriken stellten Produkte für die Olympischen Spiele her - und lieferten an Unternehmen wie Adidas, North Face, Nike oder Speedo.
Nur Ausrüsterfirmen dürfen sichtbar sein
Und der Wettkampf hinter den weltweit übertragenen Bewerben lautet in erster Linie: Adidas gegen Nike. Laut den Werberichtlinien des Internationalen Olympischen Komitees (IOC) dürfen nur die Ausrüsterfirmen auf den offiziellen Bekleidungen sichtbar sein - und diese Werbeposition versuchen die Textilgiganten maximal auszunützen. Wobei Adidas bei den Londoner Spielen einen Startvorteil ergattern konnte: als offizieller Ausrüster des IOC.
"Geld ist nicht das Problem der internationalen Markenfirmen", lautet auch die Analyse von Michaela Königshofer, Leiterin der Clean-Clothes-Kampagne. "Es wird aber auf unfaire Art und Weise verteilt. Unternehmen investieren das Maximum in die Präsentation der Marke, jedoch das Minimum in die Produktion der Ware. Für die Näherinnen und Näher bedeutet das ein Leben in Armut trotz täglicher Schufterei."
Bei Kritik droht Entlassung
Denn die Befragungen der Arbeiterinnen und Arbeiter der Produktionsstätten zeigten: Es wird für Hungerlöhne geschuftet, es gibt erzwungene Überstunden, Unterbindung gewerkschaftlicher Aktivitäten und gesundheitsgefährdende Arbeitsbedingungen. Wer dagegen protestiert, setzt seinen Job aufs Spiel.
In einer chinesischen Fabrik müssen die Arbeiterinnen von acht Uhr früh bis zehn Uhr abends arbeiten, um die Produktionsziele zu erreichen. Als eine Arbeiterin bei einer Betriebskontrolle von den langen Arbeitszeiten erzählte, wurde sie entlassen.
Warmwasser erst ab 23 Uhr
In der Guangzhou-Fabrik im chinesischen Pearl-Fluss-Delta müssen die Arbeiterinnen mit ihrem minimalen Einkommen auch noch für die Werksunterkunft zahlen - Warmwasser gibt es dort erst ab 23 Uhr - nach dem Ende der Überstundenschicht.
Auf den Philippinen wurde von Fällen berichtet, bei denen Arbeiterinnen entlassen wurden, weil sie miteinander während der Arbeit gesprochen hatten. Drei Viertel der auf den Philippinen Befragten gaben an, dass sie mit ihrem Einkommen die täglichen Bedürfnisse nicht finanzieren können. Dafür arbeiten sie zehn Stunden pro Tag, manchmal mehr als 60 Stunden pro Woche - vor allem in Hochproduktionszeiten wie vor den Londoner Spielen.
In Sri Lanka verdienen Arbeiter in den untersuchten Zulieferbetrieben oft nur 65 Euro im Monat. Das entspricht etwa einem Fünftel von dem, was sie für ein menschenwürdiges Leben brauchen. (Roman David-Freihsl, DER STANDARD, 26.7.2012)