Wien - Gesundheitsminister Alois Stöger (SPÖ) hält die Debatte über religiöse Beschneidungen in Österreich für eine "aufgesetzte Diskussion". Dabei sei ein Thema aus Deutschland übernommen worden, "das nicht wichtig ist", meinte Stöger am Mittwoch am Rande einer Pressekonferenz.

Grundsätzlich hätte jedes Landeskrankenhaus die Möglichkeit, selbst zu entscheiden, ob es Beschneidungen durchführt oder nicht, stellte der Gesundheitsminister fest. "Das ist keine Pflichtleistung. Es muss auch nicht jeder Schönheitsoperationen anbieten."

Grundsätzlich verweist Stöger auf die Kompetenzen des Justizministeriums in dieser Causa. Es gehe um die Einwilligungsfähigkeit der Patienten und das sei klar eine Frage, die das Justizressort betreffe.

"Scheinheilig" und "gefährlich"

Auch die Vertreter von Islam und Judentum in Österreich haben für die Debatte über ein Beschneidungsverbot und die Überlegungen, solche Eingriffe in den Kliniken vorerst auszusetzen, kein Verständnis. Er beobachte die Entwicklung "mit Sorge", sagte Oskar Deutsch, Präsident der Israelitischen Kultusgemeinde (IKG) am Mittwoch zur APA, und versteht "eigentlich die ganze Debatte überhaupt nicht". Heftiger reagierte Fuat Sanac, Präsident der Islamischen Glaubensgemeinschaft (IGGiÖ). Er findet die Diskussion "ehrlich gesagt scheinheilig", wenn nicht gar "gefährlich".

Sowohl Sanac als auch Deutsch sehen die rechtliche Lage in Österreich als geklärt und Beschneidungen daher als gesichert an. Man werde diese auch weiterhin durchführen, betonten beide. Dass österreichische Spitäler diese nun zum Teil nicht mehr durchführen wollen, scheint dabei kein Problem zu sein. In Wien gebe es drei ausgebildete Mohalim, die Beschneidungen durchführen, und die Kultusgemeinde werde dafür sorgen, dass jeder Bub, dessen Eltern das wünschen, beschnitten werden kann, versicherte Deutsch. Pro Jahr führe die Kultusgemeinde 100 bis 150 derartige Eingriffe durch. Für Beschneidungen an Muslimen in Österreich hat die IGGiÖ keine Zahlen parat, ein Problem für die Zukunft sieht Sanac aber dennoch nicht. Die Rituale würden nämlich auch häufig in den Heimatländern durchgeführt, hieß es.

Deutsch droht mit Anzeigen wegen "Wiederbetätigung"

Wiewohl Sanac die Debatte scharf kritisierte - sie sei "scheinheilig", weil es dabei nicht um die Kinder gehe, sondern um Religionsfreiheit bzw. "Religionsfeindschaft" -, hoffte er auf eine "vernünftige Lösung". Man sei im Dialog mit allen anderen Religionsgemeinschaften und diese hätten sich alle solidarisiert, erklärte er. Angriffslustiger zeigte sich Deutsch. Die Kultusgemeinde werde gegen jeden, der Beschneidungen verbieten will, vorgehen - wenn nötig auch mit Anzeigen wegen Wiederbetätigung oder Gesetzesbruch, kündigte er an.

Die Beschneidung sei ein "religiöser Akt seit dem Propheten Mohammed", betonte Sanac, und wichtig für beide Religionen. Auch Deutsch verwies darauf, dass es sich um eines der 613 Ge- und Verbote im Judentum handle, das von der großen Mehrheit auch diskussionslos eingehalten werde, egal ob sie sehr oder wenig religiös seien. Die nun anlaufende Diskussion verunsichere aber die Gemeindemitglieder, meinte der IKG-Präsident.

UN-Berichterstatter: "Polarisierung"

In Deutschland, wo die Debatte ihren Ausgang genommen hatte, kritisierte der UN-Sonderberichterstatter für Religionsfreiheit, Heiner Bielefeldt, dass die Einstellung gegenüber Religionen immer respektloser werde. Erstmals finde ein aggressiver, verächtlicher Grundton gegenüber Religionen breite Resonanz, sagte Bielefeldt am Mittwoch in einem Interview der deutschen Katholischen Nachrichten-Agentur (KNA).

"Erschreckend sind das Ausmaß an Polarisierung, kulturkämpferischer Aufheizung und der sehr aggressiv verächtliche, ausgrenzende Ton, in dem über Religion geredet wird. Wir erleben gerade eine neue Bruchlinie in der deutschen Gesellschaft. Das macht mir Sorgen", sagte der ehemalige Direktor des Deutschen Instituts für Menschenrechte, der an der Universität Erlangen lehrt.

Kritik und Reformaufrufe an Religionen seien legitim, so Bielefeldt, "aber im herrischen Ton mit dem Strafrecht zu drohen ist kein geeignetes Mittel, um interne Debatten voranzubringen". (APA/red, derStandard.at, 25.7.2012)