Im September droht Griechenland der Staatsbankrott. Wieder einmal. Wenn nicht die EU oder doch der IWF noch einmal und immer wieder aushelfen.

Die Vermutung ist, dass man Griechenland doch nicht bankrottgehen lassen wird, weil dies eine enorme, unkalkulierbare Niederlage für den Gedanken der Europäischen Union wäre. Ehe man aber weitermacht, sollte man sich über eine Grundwahrheit im Klaren sein, diese akzeptieren und dann über mögliche Maßnahmen nachdenken:

Griechenland ist ein strukturell bankrotter Staat. Es musste seit der Unabhängigkeit im frühen 19. Jahrhundert so alle 50 Jahre von ausländischen Mächten gerettet werden. Es ist auch gar kein richtiger Staat, sondern eine Ansammlung von Interessengruppen, die das öffentliche Gut unter sich aufteilen und die Beute an ihre jeweilige Klientel in der Wahlbevölkerung weitergeben.

In der deutschsprachigen "Griechenland Zeitung" hat der Mannheimer Historiker Heinz A. Richter die tiefgreifenden Unterschiede zwischen der griechischen und der westeuropäischen politischen Kultur herausgearbeitet: Griechenlands politisches System beruht auf reinem Klientelismus (entstanden in der 400-jährigen türkischen Besatzung), die Parteien verteilen einfach Staatsgelder und Posten an ihre Anhängerschaft. Da Griechenland mit wenigen Ausnahmen nichts produziert, was irgendwer auf der Welt kaufen will, geht dem Staat in regelmäßigen Abständen das Geld aus. Dann gewähren ausländische Mächte aus geostrategischen Gründen weiter Kredite.

Das war unmittelbar nach dem Unabhängigkeitskampf 1821 gegen die Türken so und seither immer wieder: im Ersten Weltkrieg, im und nach dem Zweiten Weltkrieg. Danach gab das erschöpfte Großbritannien seine Mentorenrolle an die USA ab. Von denen übernahm dann die EU. Der Eurobeitritt wurde von der griechischen Regierung - und Bevölkerung - als willkommener Anlass genommen, einen nie gekannten Wohlstand auf (billigen) Kredit zu finanzieren.

Alle - alle - Parteien, auch die halb kommunistische Syriza, gehen davon aus, dass die EU (oder irgendwer) Griechenland und sein Klientelsystem schon durchfinanzieren werde.

Daraus folgt, dass jeder, der Griechenland helfen will (und dafür gibt es gute Gründe), zunächst einmal das griechische System verstehen muss. Merkel tut das nicht, sonst hätte sie nicht den verzweifelten Versuch des sozialdemokratischen Premiers Papandreou ausgebremst, das Volk mit einem Referendum hinter das Sparprogramm zu bringen. So gestärkt, hätte sich Papandreou besser gegen die eigenen Filzokraten und gegen den verantwortungslosen Oppositionellen Samaras durchsetzen können. Letzterer ist heute Regierungschef und ein kompletter Vertreter des alten Systems.

Dieses System muss überwunden werden. Ein System übrigens, das wahrscheinlich eine Mehrheit der griechischen Bevölkerung ablehnt, in dem sie aber mitmacht, weil sie - bisher - glaubt, nicht anders zu können. (Hans Rauscher, DER STANDARD, 25.7.2012)