Glioblastome zählen zu den bösartigsten Krebserkrankungen des Menschen. Die Hirntumore können bislang auch durch eine Operation, eine Strahlen- oder Chemotherapie oder eine Kombination dieser drei Maßnahmen kaum geheilt werden. Seit einigen Jahren ist bekannt, dass neuronale Stammzellen zu Glioblastomen wandern und sie angreifen. Wie auch das Astrozytom, einer der häufigsten Hirntumore, treten sie vor allem bei älteren Menschen auf, während junge Patienten sehr selten betroffen sind.

"Dabei nimmt auch die Aktivität und Anzahl der neuralen, also gehirneigenen Stammzellen vom Jugendalter an stark ab. Das bedeutet, dass eine stammzellbasierte Erkrankung wie das primäre Glioblastom just dann auftritt, wenn im zentralen Nervensystem kaum mehr Stammzellen vorhanden sind", erläuterte Rainer Glaß von der Ludwig-Maximilians-Universität München. Einen neuen Mechanismus, mit dem Stammzellen das junge Gehirn vor diesen Tumoren schützen, konnte ein deutsch-italienisches Forschungsteam rund um das Max-Delbrück-Centrum für Molekulare Medizin (MDC) Berlin nun entschlüsseln. Die Forschungsergebnisse sind im Journal "Nature Medicine" veröffentlicht worden.

Hilfe eines Ionenkanals benötigt

Wie die Forscher zeigen konnten, wandern die neuronalen Stammzellen zu den Astrozytomen. Dort schütten sie Fettsäuresubstanzen aus, die für die Krebszellen schädlich sind. Um ihre tödliche Wirkung entfalten zu können, benötigen die Fettsäure-Ethanolamide allerdings die Hilfe eines Ionenkanals, des TRPV1-Kanals (auch als Vanilloid-Rezeptor 1 bezeichnet). Dieser Kanal ist an der Weiterleitung von Schmerzreizen beteiligt und besitzt unter anderem eine Bindestelle für Capsaicin, den scharfen Reizstoff von Chilischoten. Es gibt bereits klinische Studien, in denen dieser Ionenkanal unempfindlich gemacht oder blockiert wird, um neue Schmerztherapien zu entwickeln.

Anders jedoch als bei der Schmerzbekämpfung muss dieser Ionenkanal, der auf der Oberfläche der Glioblastomzellen sitzt und dort sehr viel zahlreicher ist als auf gesunden Gliazellen, aktiviert sein, um den Zelltod von Gliomen auslösen zu können. Der aktivierte Ionenkanal löst Stress-induzierten Zelltod bei den Tumorzellen aus. Ist TRPV1 dagegen heruntergeschaltet oder blockiert, werden die Gliomzellen nicht abgetötet.

Nutzbarmachung?

Mit den Untersuchungen hat das Forschungsteam neuronale Stammzellen als Quelle für krebsabtötende Fettsäuren identifiziert und die Rolle des TRPV1-Ionenkanals bei der Bekämpfung von Gliomen nachgewiesen. Allerdings nimmt - wie bereits erwähnt - die Aktivität der Stammzellen im Gehirn und somit der körpereigene Schutzmechanismus gegen Gliome mit zunehmendem Alter ab. Das könnte erklären, weshalb diese Tumore beim Menschen erst in höheren Lebensjahren auftreten, nicht aber bei Kindern und Jugendlichen.

Die Gabe von neuronalen Stammzellen dürfte keine Lösung sein, denn diese können im Alter genau das Gegenteil bewirken und Hirntumore auslösen. Eine Möglichkeit der Behandlung wäre, die TRPV1-Kanäle durch Medikamente zu aktivieren. Bei Mäusen konnte die Forschungsgruppe zeigen, dass ein synthetischer Stoff (Arvanil), der dem Capsaicin der Chilischoten ähnelt, das Tumorwachstum reduziert. "Für den Einsatz am Menschen müssen aber andere TRPV1-Aktivatoren entwickelt werden, da der Mensch Arvanil nicht verträgt", so Glaß. Nachfolgestudien sollen die Wirksamkeit der synthetischen Vanilloide im Detail untersuchen. (red, derStandard.at, 28.7.2012)