Ankara/Athen - Banner mit einem überlebensgroßen Kopf des inhaftierten PKK-Führers Abdullah Öcalan und jubelnde Kurden im Norden Syriens machen die türkische Regierung nun zunehmend nervös. Ein halbes Dutzend Städte sind in den vergangenen Tagen vom Ableger der Arbeiterpartei Kurdistans in Syrien, der PYD (Partei der demokratischen Union), "befreit" und als " unabhängig" erklärt worden. Eine nach dem Nordirak zweite kurdisch verwaltete Region an ihrer Grenze, noch dazu gesteuert von der als Terrororganisation eingestuften PKK, will die Türkei nicht hinnehmen. Am Montag beriet in Ankara einmal mehr der nationale Sicherheitsrat. Truppen und Waffen wurden im Grenzgebiet zu den kurdischen Gebieten in Syrien verstärkt.

Nahostexperten in Ankara zeigten sich gleichwohl gelassen. Die Gebietsgewinne der Kämpfer der PYD würden nicht von Dauer sein, sagte Oytun Orhan vom Nahostzentrum für strategische Forschungen (Orsam) im Gespräch mit dem Standard voraus. Zum einen, weil die kurdische Bevölkerung in Syrien nirgendwo wirklich in der Mehrheit sei; zum anderen, weil auch die Freie Syrische Armee (FSA) gegen eine autonome kurdische Region sei. "Sobald die FSA mit dem syrischen Regime fertig ist, wird sie versuchen, der PKK die Kontrolle zu entreißen", erklärte Orhan. Da die PKK von zwei Seiten eingekreist sei - von der Türkei und von der FSA -, werde die neue Macht im Norden Syriens leicht zu stürzen sein.

Vakuum gefüllt

Die Kurdenpartei PYD ist nur eine der kurdischen Gruppierungen in Syrien. Der Syrische Nationalkongress (SNC), das Oppositionsbündnis im Exil, wird derzeit von Abdulbaset Sieda geführt, einem Kurden aus der Stadt Amuda, die nun angeblich auch von der PYD gehalten wird. Ihre Gewinne seien nur durch den Rückzug der syrischen Regierungsarmee zustande gekommen, die sich auf Damaskus und Aleppo konzentriere, erklärte Orhan.

Aus Aleppo zog die türkische Regierung am Montag ihren Konsul ab; er war der letzte diplomatische Vertreter des Landes in Syrien. Türkische Diplomaten wurden in den Medien mit der Einschätzung zitiert, der Sturz Bashar al-Assads sei "nur eine Frage von Wochen, wenn nicht Tagen". Aufständische brachten mittlerweile noch einen dritten Grenzübergang zur Türkei in ihre Gewalt. Türkische Fahrer machten die FSA für die Plünderung ihrer Wagen an der Grenze verantwortlich. (Markus Bernath, DER STANDARD, 24.7.2012)